Moldau: Extrem knappes Ja zur EU und Vorwürfen über prorussische Wahlfälschung – Politik

In der Nacht zum Montag herrschte in Chișinău der Ausnahmezustand, Screenshots mit den neuesten, regionalen Wahlergebnissen wurden hin- und hergeschickt, wütende Telefonate geführt. Die Mitarbeiter im Präsidialamt, in der Regierung und in der PAS, der Partei von Präsidentin Maia Sandu, waren geschockt.

Alles deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass die Gegner eines Beitritts der Republik Moldau zur Europäischen Union haushoch gewinnen würden. Nach der Auszählung von etwa der Hälfte aller Stimmen, die für die Verankerung des EU-Beitritts in der moldauischen Verfassung abgegeben worden waren, lagen die Gegner des Westkurses von Präsidentin Sandu deutlich vorn.

Die Präsidentin sprach von prorussischer Manipulation und Stimmenkauf

Damit hatte niemand gerechnet: Ein Ja zur EU-Mitgliedschaft Moldaus, das seit Juni 2023 schon Beitrittskandidat ist, hatte als sicher gegolten. Eine Stunde nach Mitternacht trat daher eine sichtlich aufgebrachte Präsidentin vor die Presse und beklagte massive Interventionen prorussischer Kräfte und den Kauf von mindestens 300 000 Stimmen. Knapp hundert Millionen Euro seien ausgegeben worden, um die Wahl zu fälschen.

Zum Morgen hin, nachdem fast hundert Prozent der Stimmen – und damit auch jene von etwa 800 000 wahlberechtigten Auslandsmoldauern – ausgezählt waren, drehte sich das Blatt. Das offizielle Ergebnis des EU-Referendums liegt am Montagvormittag laut der Zentralen Wahlkommission nun bei 50,16 Prozent Ja-Stimmen – und ist damit denkbar knapp. Es ist ein Sieg für Sandu, die das Referendum parallel zur Präsidentschaftswahl angesetzt hatte – aber einer, der ihr angesichts seines knappen Ausgangs mehr Probleme bereiten als helfen dürfte.

Für die Präsidentin könnte es in der Stichwahl eng werden

Auch bei den Präsidentschaftswahlen vom Sonntag liegt Sandu im ersten Wahlgang zwar mit 42 Prozent der Stimmen vor dem Sozialisten Alexandr Stoianoglo, der auf 26 Prozent der Stimmen kam; gegen den ehemaligen Staatsanwalt wird wegen Korruption ermittelt. Der nächstgereihte Bewerber kam nur noch auf 13 Prozent. Sandu war allerdings auch die einzige dezidiert proeuropäische Kandidatin für das Präsidentschaftsamt; es könnte also in der Stichwahl in zwei Wochen für sie enger werden als gedacht, wenn alle anderen Kandidaten zur Wahl von Stoianoglo aufrufen. Die Wahlbeteiligung lag bei etwas mehr als 50 Prozent.

Vor der Wahl und dem Referendum war in der Hauptstadt zwar befürchtet worden, dass in der Abstimmung über eine Verfassungsänderung zum EU-Beitritt womöglich das Quorum von 30 Prozent nicht erreicht werden könnte. Dass nun allerdings das Ergebnis als solches so knapp werden könnte, ist eine Blamage für die Regierung, die gehofft hatte, mit einem eindeutigeren Ausgang für die Präsidentschaftswahl mobilisieren und ihren Westkurs leichter durchsetzen zu können.

Vor dem Wahltag hatte es jedoch bereits Hinweise auf massive Desinformation und Stimmenkauf gegeben. Der vor einer Haftstrafe aus Moldau über Israel nach Moskau geflohene Unternehmer Ilan Șor hatte mit Unterstützung Russlands nicht nur zum Boykott des Referendums aufgerufen und gegen die Wahl von Sandu mobilisiert, sondern auch Geldzahlungen an jene geleistet, die mit Nein stimmten oder andere zum Nein aufriefen. Umgerechnet etwa hundert Millionen Euro sollen allein in den vergangenen Monaten aus Russland an Mittelsleute von Șor geflossen sein, die damit Stimmenkauf betrieben und Demonstrationen gegen die Regierung organisierten.

Die renommierte moldauische Tageszeitung Ziarul de Gardă hatte wenige Tage vor der Wahl eine mehrmonatige, investigative Recherche veröffentlicht, in der eine Reporterin sich in die Șor-Kampagne einschleuste, auf Weisung einer Aktivistin ein Konto bei einer staatlichen, russischen Bank eröffnete und darüber Zahlungen erhielt. Dafür musste sie in Moldau Material mit Desinformation über die EU oder Maia Sandu an Passanten verteilen, in den sozialen Medien Fake News posten oder an Wahlversammlungen für prorussische Kandidaten teilnehmen.

130 000 Moldauer sollen Geld bekommen haben, um gegen das Referendum zu stimmen

Die moldauische Polizei hatte zudem Anfang Oktober mitgeteilt, dass laut ihren Ermittlungen mehr als 130 000 Moldauer Geld aus Moskau erhalten hätten, um gegen das Referendum zu stimmen. In der autonomen Region Gagausien im Süden des Landes, wo Șors Leute besonders aktiv gewesen waren, stimmten dementsprechend nur etwa fünf Prozent für die Verankerung des EU-Beitritts in der Verfassung.

Nach dem nächtlichen Auftritt von Sandu, in dem sie ihre Empörung über die Einmischung Moskaus in die inneren Angelegenheiten Moldaus und die Wahlfälschung zum Ausdruck gebracht hatte, herrschte am Montagmorgen in Chișinău in der Zentrale der PAS, der Partei von Maia Sandu, erst einmal Funkstille. Denn klar ist: Der Weg nach Europa, für den Sandu als „historische Entscheidung“ geworben hatte, dürfte nun noch steiniger werden.

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