Warum das Votum eine Niederlage für die EU und den Westen ist

Eine solche Zitterpartie sahen selbst in Moldau nur die wenigsten kommen. Ein Schock, sagten Gesprächspartner aus der Hauptstadt Chisinau nach den ersten vorläufigen Ergebnissen. Über Wochen wähnte sich das proeuropäische Lager in sicheren Gewässern. „Die Menschen in Moldau gehören nach Europa“, hieß es mantraartig von Beratern der westlich orientierten Maia-Sandu-Regierung. Doch es folgte ein tiefer Fall.

In der Nacht zum Montag hieß es zunächst, das Pro-EU-Lager habe völlig überraschend das Referendum verloren – eine knappe Mehrheit der Moldauer habe zunächst mit „Nu“, also Nein gestimmt. Erinnerungen an den unerwarteten Brexit kamen hoch. Am Montagmittag dann die Wende: 50,39 Prozent der Moldauer stimmten für den EU-Beitritt als strategisches Ziel in der Verfassung des Landes – 49,61 Prozent waren dagegen. Ein spannungsgeladenes Hin und Her; lange Zeit herrschte aufgrund des äußerst engen Wahlausgangs Unklarheit, wie das endgültige Ergebnis schlussendlich wirklich aussehen wird.

EU-Perspektive: Der tiefe Graben in Moldau wird größer

Fest steht jedoch: Dieses moldauische Referendum ist ein herber Rückschlag für die Europäische Union.

Einerseits haben es Berlin, Brüssel, Bukarest und Co. eben nicht geschafft, nach Jahren der Annäherung tief ins identitätspolitische Gedächtnis der Moldauer einzudringen. Im Westen argumentiert man jetzt, der Kreml habe in einem „beispiellosen“ Akt der Einflussnahme antieuropäische Stimmen gekauft. Das mag in der Tat auch stimmen. Doch was sagt es über die EU aus, wenn eine Moldauerin lieber 50 Euro für sich einheimst, als mit ihrer Stimme die europäische Zukunft ihrer Enkelin zu sichern?

Das kleine südosteuropäische Land bleibt gespalten – das Referendum hat dies nochmals verdeutlicht. Der Graben zwischen „Wir müssen in die EU, sonst droht uns der Untergang“ und ein „Balancieren zwischen den Großmächten“ wird bis zur Parlamentswahl im Juli nächsten Jahres wohl noch größer werden. Russische Informationskampagnen werden mit der knappen Niederlage nicht aufhören. Eine europäische Antwort darauf? Fehlanzeige! Die EU müsste sich stattdessen eingestehen, dass sie abseits der postsowjetischen Hauptstädte eben kein allmächtiger Sehnsuchtsort ist.

Ein konkretes Beispiel: Am Ende war es nämlich die moldauische Diaspora, die dem EU-Referendum wohl den hauchdünnen Sieg ermöglichte. Während sich mit den vorläufigen Ergebnissen aus der Republik Moldau noch ein Scheitern des Referendums andeutete, konnte sich das Blatt mit den Stimmen aus Deutschland, Rumänien oder Italien noch wenden. Man könnte zugespitzt fragen, ob die im europäischen Ausland lebenden Moldauer über die Zukunft der in Moldau lebenden Moldauer entschieden haben. Außerdem pikant: Statt in den ursprünglich 20 geplanten Wahllokalen in Russland – dem Land mit dem größten Anteil registrierter moldauischer Auslandswähler – konnte am Ende nur in zwei Wahllokalen abgestimmt werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Menschenschlange vor dem Wahllokal in der moldauischen Botschaft in Moskau: In ganz Russland waren lediglich zwei Wahllokale geöffnet – obwohl in dem Land der größte Teil der Auslandsmoldauer lebt.

Menschenschlange vor dem Wahllokal in der moldauischen Botschaft in Moskau: In ganz Russland waren lediglich zwei Wahllokale geöffnet – obwohl in dem Land der größte Teil der Auslandsmoldauer lebt.Imago

Nach Moldau heißt vor Georgien: Droht der EU das nächste Debakel?

Die EU sollte auch in anderen Bereichen schnellstmöglich von ihrem hohen erweiterungspolitischen Ross herunterkommen. In der Brüsseler Blase – die natürlich auch durch westlich gesinnte Expats und EU-Ultras aus den Beitrittskandidatenländern geprägt ist – geht man fest davon aus, dass ausnahmslos alle Moldauer, Georgier, Ukrainer, Armenier, Belarussen, Serben, Albaner oder Bosnier in das westliche Bündnis wollen. Es sei ein alternativloser Weg, hört man oft.

Doch dem ist nicht so. Nicht alle postsowjetischen oder postjugoslawischen Bevölkerungen wollen der EU angehören – trotz all der Arbeits-, Grenz- oder Visafreiheiten. Im bitterarmen Gagausien im Süden Moldaus will man ebenso wenig die Verbindungen nach Russland abbrechen wie im georgischen Hochgebirge. Den Belarussen geht es kaum noch um einen zeitnahen EU-Beitritt. Ähnliches gilt auch für die Serben. Vielmehr wollen die Regierungen in den zum Teil noch recht jungen Staaten als Brückenbauer fungieren – zwischen Ost und West. Doch will die EU solche Brückenbauer in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft?

Mit den Wahlen in Georgien droht der EU am kommenden Wochenende ein nächstes Fiasko. Sollte nämlich die Regierungspartei, der Georgische Traum, gewinnen, war es das mit einer georgischen Zukunft in der EU. In den Auslandsdelegationen des Staatenverbundes herrschen schon jetzt Resignation, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit. Der EU-Erweiterungsprozess, der mit der russischen Invasion vor zweieinhalb Jahren rasant an Fahrt aufgenommen hat, könnte also im Herbst 2024 krachend scheitern.

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