US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III wird von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius begrüßt. Foto (2023): US-Verteidigungsministerium

Deutschland weist Russlands Vorwürfe zurück. Dementis prägen Nato-Debatte um neuen maritimen Ostseestützpunkt – ein riskantes Spiel um Glaubwürdigkeit. Analyse.

Die Inbetriebnahme des am 1. Oktober eröffneten maritimen Stützpunkts Commander Task Force Baltic (CTFB) in Rostock hat für erhebliche internationale Spannungen gesorgt.

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Wie verschiedene Medien berichteten, bestellte das russische Außenministerium den deutschen Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), ein, um ihm den “entschiedenen Protest” der Föderation zu übermitteln.

Russland sieht in dem neuen Stützpunkt einen Bruch mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die Stationierung ausländischer Truppen in der ehemaligen DDR untersagt. Das russische Außenministerium warnte vor den “negativsten Folgen” einer “Ausweitung militärischer Nato-Infrastruktur im ehemaligen Ostdeutschland” und warf dem Westen eine “schleichende Revision der Nachkriegsordnung” vor.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, offiziell als “Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland” bekannt, wurde am 12. September 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs – USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – unterzeichnet.

Der russische Vorwurf zielt auf Artikel 5, Absatz 3 des Vertrages, in dem festgehalten ist:

Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Trägersysteme werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.

Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland

Auch deutsche Kommentatoren wie der Journalist und Medienproduzent Friedrich Küppersbusch äußerten zuletzt ihre Befürchtung, dass Deutschland durch die Stationierung von Nato-Truppen in Ostdeutschland auf völkerrechtlich gefährlich dünnem Eis wandeln – oder mehr noch: In einem heraufziehenden Dritten Weltkrieg abermals die Hauptrolle spielen könnte.

Aufgebauschtes Missverständnis oder Etikettenschwindel?

Aber handelt es sich bei alledem nur um ein aufgebauschtes Missverständnis? Oder eher einen Etikettenschwindel?

Denn nicht nur Botschafter Graf-Lambsdorff und das Auswärtige Amt, sondern auch einige Stimmen in den deutschen Medien wehren sich mittlerweile gegen die Darstellung, dass es sich bei der Einrichtung zur Überwachung des Ostseeraums um einen Nato-Stützpunkt handle.

Eine glaubhafte Versicherung eines Missverständnisses sieht aber anders aus: Denn nicht nur hatten jene Medien zunächst selbst von einer Nato-Institution geschrieben, bevor sie plötzlich zurückruderten, auch eine offizielle Pressemitteilung der Nato selbst stellte die Militärbasis – unmissverständlich – als von dem Militärbündnis “gegründet” (“established”) dar. Nur: Diese Pressemitteilung wurde inzwischen von der offiziellen Nato-Website gelöscht.

Noch gibt es aber Internet-Archive, die eine potenzielle Umdeutung der Geschichte deutlich erschweren.

Vorwürfe Russlands unberechtigt?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte bei der Einweihung des CTFB die strategische Bedeutung des Ostseeraums für die Sicherheit Europas betont, insbesondere angesichts der “anhaltenden Aggressionen” Russlands, wie der NDR berichtete.

Der Stützpunkt soll Pistorius zufolge die Marineaktivitäten der Nato-Verbündeten in der Ostsee koordinieren und ein “maritimes Lagebild” bereitstellen. Neben Deutschland sind elf weitere Nato-Nationen beteiligt: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden und das Vereinigte Königreich.

Die Bundeswehr beteuerte, dass es sich um ein “nationales Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung” handele, nicht um einen Nato-Stab – wenngleich man im ständigen Austausch mit Nato-Partnern stehe.

Auch das Auswärtige Amt in Berlin wies die Vorwürfe Russlands zurück. Botschafter Graf Lambsdorff erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, dass das Kommandozentrum in Rostock eine “zulässige Basis” sei.

In einem Follow-Up des NDR zu den Vorwürfen aus Russland beteuerte auch Sebastian Bruns, Experte für maritime Sicherheit und Strategie an der Universität Kiel, dass es sich beim CTFB “nicht um ein Nato-Kommando oder gar ein Nato-Hauptquartier” handle, sondern um einen “Stab der Deutschen Marine, dessen Ergebnisse der Nato angeboten werden.”

Schenkt man den Nachforschungen des während der Ukraine-Krise stark kritisierten Ex-NDR-Journalisten Patrik Baab Glauben, pflegt gerade dessen langjähriger Arbeitgeber, die Universität Kiel, eine lange Tradition der Nato-Nähe und könnte deshalb als zweifelhafte Quelle angesehen werden.

Zweifel an den Beschwichtigungen um das CTFB haben indes nicht nur Russland oder als “Russlandversteher” geltende Personen gesät, sondern auch die deutschen Leitmedien selbst.

Gelöscht: Darstellung durch die Nato

Denn diese hatten den neuen Stützpunkt in ihren ersten Berichten zunächst selbst als “Nato-Hauptquartier” bezeichnet. Auch im zitierten Bericht des NDR war – und ist noch immer – die Rede von einem “neue(n) Hauptquartier für die Nato”. Die Spiegel-Redakteure dagegen haben das “Nato-Hauptquartier in Rostock” mittlerweile zum “Neue(n) Ostsee-Hauptquartier in Rostock” umgeschrieben und den Artikel mit einer entsprechenden Anmerkung versehen.

Aber auch die Pressestelle des Militärbündnisses selbst überschrieb eine Mitteilung vom 22. Oktober mit dem Satz “Nato establishes (“errichtet”, “gründet”) Commander Task Force Baltic”. In dem Text finden sich außerdem weitere Passagen, die zumindest die behauptete Trennschärfe zum Kommando der Nato aufzulösen scheinen. Eine davon:

Mit der Anpassung ihrer Kommandostruktur seit 2017 hat die NATO beschlossen, dass ihre Mitglieder ein ständiges maritimes Hauptquartier auf höchster taktischer Ebene einrichten sollen. Der Stab Commander Task Force Baltic, kurz CTF Baltic, ist nun bereit, Führungsaufgaben für das Bündnis in dem ihm zugewiesenen Seegebiet zu übernehmen.

Nato Establishes Commander, Task Force Baltic (Ursprungs-link, Inhalt gelöscht)

Ein weiteres stellt das CTFB “entscheidend” für die Umsetzung des Nato-Regionalplans dar:

Wie die anderen CTF hat auch die CTF Baltic zwei Hauptaufgaben: die Planung von maritimen Übungen und Operationen sowie die Führung der von der NATO eingesetzten Seestreitkräfte in Friedens-, Krisen- und Kriegszeiten.

Darüber hinaus wird sie eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den alliierten Seestreitkräften im Ostseeraum spielen. Das neue Hauptquartier wird eine entscheidende Kommandostruktur für die Umsetzung des NATO-Regionalplans sein, wenn dies erforderlich sein sollte.

Nato Establishes Commander, Task Force Baltic (Ursprungs-link, Inhalt gelöscht)

Der Vizeadmiral Didier Maleterre, stellvertretender Kommandeur des Allied Maritime Command erklärte außerdem, dass mit der Unterstützung der CFT Baltic durch die Seestreitkräfte aller Partnerstaaten “die Koordinierung und die Zusammenführung der taktischen Führung der NATO eine stärkere Abschreckungsposition im Ostseeraum verschaffen werde”.

In der Pressemitteilung wird außerdem beschrieben, dass der Stützpunkt “formal” unter die Zuständigkeit Deutschlands falle und um multinationale Teilnehmer ergänzt werde.

Diese Betonung lässt Zweifel daran aufkommen, ob der Stützpunkt auch grundsätzlich in den deutschen Zuständigkeitsbereich fällt – und nicht etwa mittelbar doch in den der Nato.