Wenn Viktor Orbán eine Reise ankündigt, wird der Rest der Europäer nervös. Und das mit gutem Grund: Kaum hatte Anfang Juli Ungarn turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz übernommen, setzte sich der Regierungschef des Landes ins Flugzeug und besucht Russland, China und den US-Bundesstaat Florida, um dort mit Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump über seine Vorstellung für „Frieden“ in der Ukraine zu reden.

Für die Ukraine hatte Orbáns selbstherrliche Mission bisher keine spürbaren positiven Folgen. Im Gegenteil: Der Krieg, den Russland mit chinesischer Hilfe gegen das Nachbarland führt, geht mit aller Härte weiter. Und auch die EU nahm durch die Reisediplomatie des ungarischen Premiers Schaden. Orbáns Termine mit dem Kriegsherrn in Moskau, dem Diktator in Peking und dem Möchtegern-Autokraten in Mar-a-Lago waren nicht abgesprochen mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen. Diese distanzierten sich daher empört von dem Ungarn und versicherten der Welt hoch und heilig, dass Orbán nicht im Namen der EU spreche oder gar über Frieden verhandele. Besonders souverän und geeint sah die Union in jenen Tagen nicht aus.

Orbán sieht keinen Anlass zu Kritik am Ablauf der Wahl

Am Montag fuhr Orbán nach Georgien – wieder begleitet von Warnungen aus Brüssel, dass er keinesfalls für die EU dort sei und rede. Denn wieder liegt der Ungar mit seinen EU-Kollegen und den Brüsseler Institutionen über Kreuz. Während die meisten europäischen Regierungen, ebenso die EU-Kommission und das Europaparlament mehr oder weniger offen Zweifel daran geäußert haben, dass tatsächlich die prorussische Regierungspartei Georgischer Traum die Wahl gewonnen hat, hatte Orbán ihr bereits vor Schließung der Wahllokale zu einem „großartigen Sieg“ gratuliert. Während in Brüssel die Ansicht der EU-freundlichen georgischen Präsidentin Salome Surabischwili geteilt wird, dass Russland die Wahl massiv beeinflusst und gefälscht hat, damit das Oppositionsbündnis verliert, sieht Orbán keinerlei Anlass zu Kritik am Ablauf des Urnengangs. „Die Menschen in Georgien wissen am besten, was gut für ihr Land ist, und haben sich zu Wort gemeldet“, kommentierte er das Wahlergebnis.

Die innereuropäischen Querelen können allerdings nicht verdecken, dass die EU mit einer gewissen Hilflosigkeit auf die Vorgänge in Georgien schaut. Nach Moldau ist der kleine Staat im Kaukasus bereits das zweite Land an der Südostflanke der Union, das die Europäer angesichts des Kriegs in der Ukraine aus dem russischen Einflussbereich lösen wollten – in dem Moskau sich jedoch wehrt und mit Desinformations- und Manipulationskampagnen, mit Drohungen, Einschüchterungsversuchen und Wahlfälschung dagegenhält. In Moldau hatte Brüssel vor einigen Tagen noch Glück: In einem Referendum zu der Frage, ob der EU-Beitritt des Landes als Ziel in der Verfassung festgeschrieben werden solle, siegten die Befürworter denkbar knapp mit 50,3 Prozent.

Die Verhandlungen über den Beitritt wurden im Sommer eingefroren

In Georgien hingegen gewann jetzt Moskau. Zwar wird Georgien den Status eines EU-Beitrittskandidaten, den es erst im Dezember 2023 bekommen hat, vorerst wohl nicht offiziell verlieren. Ein solch drastischer Schritt würde in Brüssel als Verrat an der georgischen Bevölkerung gesehen werden. Doch die Verhandlungen über einen Beitritt liegen ohnehin seit dem Sommer auf Eis. Die EU reagierte damit auf ein Gesetz, das der Georgische Traum gegen das Veto der Präsidentin und trotz scharfer Warnungen der Europäer durchgesetzt hatte und das darauf abzielt, vom Westen unterstützte Nichtregierungsorganisationen im Land als „ausländische Agenten“ zu diskreditieren und finanziell auszutrocknen. Derartige Regelungen, die es so auch in Russland gibt, seien „nicht vereinbar“ mit „dem Weg Georgiens in die EU“, heißt es seither aus Brüssel.

Für die Zukunft bedeutet das: Solange der Georgische Traum, der von dem prorussischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili gesteuert wird, in Tiflis regiert, ist eine weitere Annäherung zwischen Georgien und der EU kaum denkbar. Allerdings ist momentan auch nicht ersichtlich, wie diese Situation zu ändern ist. Ein Wahlergebnis ist ein Wahlergebnis, selbst wenn es aus europäischer Sicht unerfreulich ist. Sofern also in den kommenden Tagen nicht eindeutige Beweise dafür vorgelegt werden, dass die Wahl umfassend gefälscht wurde und in Wahrheit die Opposition gesiegt hat, wird es schwierig für die EU, den Ausgang nicht anzuerkennen.

Die Vorwürfe der Präsidentin machen sich die EU-Mitglieder bisher nicht zu eigen

Die Tatsache, dass Umfragen vor der Wahl eine klare proeuropäische Mehrheit gezeigt haben, mögen politisch-moralisch aussagekräftig sein. Aber sie reichen wohl nicht, um den Sieg der prorussischen Regierung anzufechten. Auch Massenproteste, zu denen die Opposition nun aufgerufen hat, sind allenfalls ein Indiz, kein Beweis dafür, dass die Bevölkerung eventuell anders denkt als das offizielle Wahlergebnis es suggeriert. Dass aus Brüssel und etlichen EU-Hauptstädten bisher vor allem die Mahnung kommt, die vielen Berichte über Unregelmäßigkeiten und Manipulationen bei der Wahl müssten schnell und umfassend aufgeklärt werden, während der Vorwurf der georgischen Präsidentin, das Ergebnis sei die Folge einer „russischen Spezialoperation“ im Westen in dieser Klarheit nicht aufgenommen wird, zeigt, wie kompliziert die Lage für Brüssel ist.

EU-Ratspräsident Charles Michel hat bereits verfügt, dass Georgien kommende Woche auf der Agenda stehen wird, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel treffen. Dieser wird allerdings ausgerechnet in Budapest stattfinden, Gastgeber wird niemand anders als Orbán sein. Die Aussicht darauf, dass sich dann 27 europäische Regierungen entschlossen Russland entgegenstellen und dessen Einmischung in eine demokratische Wahl geißeln werden, ist daher gering. Dazu wäre Einstimmigkeit notwendig, und die dürfte am reisebegeisterten Viktor Orbán scheitern.