Brüssel. „Es ist Primetime im EU-Parlament“, sagte einer der führenden EU-Politiker am Montag in Brüssel. Dort haben die fünftägigen Anhörungen der designierten Kommissarinnen und Kommissare für die neue EU-Kommission begonnen, das große „Grillen“, wie die Eignungs­prüfung im EU-Jargon auch genannt wird. Auf Herz und Nieren prüfen die Abgeordneten der Fachausschüsse, ob etwa der Italiener Raffaele Fitto von den Rechts­populisten für die Regional­förderung oder die Spanierin Teresa Ribera von den Sozial­demokraten für den Bereich Wettbewerb und Transformation auch wirklich geeignet sind.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Am Montag war der für das Handels­ressort vorgesehene Maros Sefcovic aus der Slowakei der Erste, der sich den kritischen Fragen der Abgeordneten stellen musste. Angesichts immer schwierigerer Handels­beziehungen mit den USA und China würde Sefcovic vor einer Vielzahl an Heraus­forderungen stehen. Der 58-Jährige ist in Brüssel inzwischen zu Hause. Seit 2009 ist er schon EU-Kommissar für verschiedenste Bereiche gewesen, zuvor war er slowakischer Botschafter.

USA and EU puzzle from flags US-Wahl E-paper
Eine Trump-Taskforce, aber keine Strategie: Schlittert die EU unvorbereitet in die US-Wahl?

In Brüssel erinnern sich Abgeordnete und Diplomaten noch mit Schrecken an die vergangene Amtszeit von Donald Trump. Hat Europa daraus gelernt? Viele fürchten, dass Europa nicht ausreichend vorbereitet ist. Manchen jedoch gefällt die Aussicht, dass unberechenbare USA für Chaos in der EU sorgen.

EU-Handelskommissar will stärker gegen Chinas unfaire Praktiken vorgehen

„Es gibt zu viele unfaire Handelspraktiken“, sagte Sefcovic bei der Anhörung und kündigte Schutz­instrumente an, damit die europäischen Firmen überleben. Gleichzeitig sei er ein Verfechter des freien Handels. Unabhängig vom Ausgang der US-Wahl will er ein Angebot zu einer vertieften Zusammenarbeit an die USA aussprechen. „Es ist von Vorteil für die EU und die USA, wenn wir zusammenarbeiten.“ Schärfer will sich Sefcovic China vorknöpfen. „China ist der drittgrößte und der schwierigste Handelspartner der EU“, sagte er. Er wolle entschieden gegen die regelwidrige Handels­politik vorgehen und gleiche Wettbewerbs­bedingungen mit China schaffen. „Die EU ist nicht an Handels­kriegen interessiert“, stellte er klar. Es gehe um eine „Ausbalancierung der Beziehungen mit China“. Er habe den Chinesen in seinen Gesprächen immer wieder deutlich gesagt, dass deren Subventionen keine europäischen Arbeitsplätze gefährden dürften. Gleichzeitig müsse die EU auch Abhängigkeiten abbauen, um kostspieligen Risiken ein Ende zu bereiten.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Dass vor einigen Jahren die europäische Photovoltaik­industrie unter der chinesischen Konferenz zusammengebrochen ist, müsse der EU eine Warnung sein. „Das darf sich bei Stahl, Windkraft­anlagen und E‑Autos nicht wiederholen“, sagte Sefcovic. Mit welchen Instrumenten er die Überkapazitäten aus China eindämmen wolle, sagte er auch auf Nachfrage jedoch nicht.

Wie die US-Wahl Deutschland und Europa beeinflusst

Ob Handel, Klimaschutz oder Sicherheit: Europa ist in vielen Bereichen abhängig von guten transatlantischen Beziehungen.

EU droht zwischen die Mühlen von China und den USA zu geraten

In Brüssel rechnet man fest damit, dass die USA in Zukunft mehr Druck auf China von der EU fordern werden. René Repasi, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, fordert daher von Sefcovic Augenmaß, statt nur den USA nachzugeben. „Bei Einfuhrzöllen auf Produkte, die wir selbst nicht wettbewerbs­fähig produzieren können, schaden wir uns mit den Zöllen nur selbst“, sagte Repasi. Die USA verfolgen inzwischen eine „America first“-Strategie und konzentrieren sich auf ihr eigenes Wachstum auf Kosten der Bündnis­partner. Daher könne sich die EU nicht auf eine einzige Seite schlagen. Ähnlich kritisch äußerte sich der designierte Kommissar. Er verwies darauf, dass EU-Unternehmen in den USA von vielen Vorteilen für US-Konzerne ausgeschlossen seien.

„Mit Maros Sefcovic hätten wir das erfahrenste Mitglied des Kollegiums im Bereich Handel und wirtschaftliche Sicherheit“, sagt Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handels­ausschusses im EU-Parlament. „Aufgrund seiner Rolle bei den Brexit-Verhandlungen ist ihm die Handels­politik nicht fremd.“ Lange lobt, dass sich Sefcovic verpflichtet habe, so viele Handels- und Investitions­abkommen wie möglich abzuschließen. Schon jetzt hat die EU mehr als 75 Handels­abkommen geschlossen.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Alle Augen auf Fitto und Ribera gerichtet

Seit 2004 gab es keine Anhörung im Parlament, bei der nicht mindestens ein vorgeschlagener Kommissar durchgefallen ist. „Bisher gibt es niemanden, bei dem schon jetzt klar ist, dass er oder sie durchfallen wird“, sagte René Repasi, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament. Doch der Italiener Fitto bereite ihm die „größten Kopfschmerzen“. Er gilt zwar als erfahren, gehört aber den Rechts­populisten von Italiens Regierungs­chefin Giorgia Meloni an und soll einen Vizepräsidenten­posten in der EU-Kommission erhalten. Einen Rechts­populisten an einer so wichtigen Stelle? Das bereitet den Sozial­demokraten Unbehagen. Ob Fitto wirklich durchfällt, ist noch offen. Denn die große Mitte-rechts-Fraktion EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, hat mit Fitto kein Problem und könnte ihn auch mit den Stimmen der Rechten durchwinken. Es wäre ein weiteres Einreißen der Brandmauer nach rechts. Innerhalb der EVP wird argumentiert, dass der Italiener gar kein Rechts­populist sei und sich die EU-Regierungs­chefs auf eine bedeutende Position für Italien in der nächsten Kommission verständigt hätten. Hinzu kommt, dass der Vorschlag für die neue Kommission von der eigenen Kommissions­präsidentin stammt und eng mit der EVP abgestimmt wurde.

Wenige Stunden nach Fitto wird Ribera im Parlament angehört. Stimmen die Sozial­demokraten gegen Fitto, könnte die EVP als Retour­kutsche also Ribera durchfallen lassen. Von solchen Strafaktionen will der CSU-Abgeordnete Markus Ferber aber nicht reden. „Es gibt berechtigte Fragen an Ribera, und wir dürfen keine Scheu haben, sie wenn nötig auch durchfallen zu lassen“, sagte Ferber. SPD-Politiker Repasi warnte die EVP vor solchen „Spielchen“ und mit der Ablehnung von Ribera zu drohen, sollte Fitto nicht bestätigt werden. Am Ende könnten die Sozial­demokraten bei der Abstimmung der gesamten Kommission ihre Zustimmung verweigern.