Verschläft Deutschland den Fachkräftemangel? „Nicht gedacht, dass es so schlimm ist“

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Die Ampel will die Fachkräftelücke mit einem neuen Gesetz schließen. Doch ein deutsch-türkischer Vermittler beklagt: „Die Behörden sind zu langsam.“

Ahmet Salincakli kam Ende der 1960er Jahre aus der Türkei nach Deutschland. Damals war er zehn Jahre alt. Heute lebt er im Ruhrgebiet, arbeitet als Verlagsleiter und vermittelt nebenbei Fachkräfte aus seinem Heimatland an deutsche Firmen: Mechatroniker, Kfz-Mechaniker, Lackierer. Salincakli ist vor allem im Automobilsektor aktiv. „Das Thema Fachkräftemangel trifft auch unsere Branche“, heißt es auf Anfrage vom Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe. Helfen soll ein neues Gesetz der Bundesregierung – doch die Mühlen der Bürokratie mahlen hier einmal mehr langsam, wie Salincakli am Beispiel der Türkei erklärt.

Antrag auf Arbeitserlaubnis: „Das ist doch Wahnsinn. Wer wartet so lange?“

„Bis ein Antrag auf Arbeitserlaubnis bearbeitet wird, dauert es mittlerweile zwölf Monate“, sagt der Deutsch-Türke. „Das ist doch Wahnsinn. Welcher Arbeitgeber wartet so lange?“ Noch vor einigen Jahren sei die Wartezeit überschaubar gewesen, habe wenige Monate gedauert. Doch nun verschlechtere sich die Lage zusehends. Warum, kann Salincakli nicht sagen. „Hat Deutschland keine Lust auf Fachkräfte aus der Türkei?“, fragt er in einer Mischung aus Enttäuschung und Ratlosigkeit.

Weil die Türkei kein EU-Mitglied ist, gelten für Fachkräfte aus dem Land andere Regeln. EU-Bürger genießen Freizügigkeit und können jederzeit in jedem EU-Land eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Nicht-EU-Bürger müssen dagegen etliche Formulare ausfüllen, bevor sie in Deutschland arbeiten dürfen. „Ich wusste von der Bürokratie. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist“, sagt Salincakli. Sein ernüchterndes Fazit: „Deutsche Behörden sind zu langsam.“

Ahmet Salincakli vermittelt Arbeiter aus der Türkei nach Deutschland, vor allem in die Kfz-Branche.

Ahmet Salincakli (rechts) vermittelt Arbeiter aus der Türkei nach Deutschland, vor allem in die Kfz-Branche. © IMAGO/Westend61/PrivatStudie: 2027 fehlen in Deutschland 728.000 Fachkräfte

Die Union kritisiert, dass es hier so lange dauert. „Die langen Wartezeiten für ausländische Fachkräfte auf Termine zur Antragstellung in den deutschen Auslandsvertretungen sind nicht akzeptabel“, sagt uns der zuständige Berichterstatter Moritz Oppelt (CDU). „Die Ampel-Regierung ist aufgefordert, gezielt und wirksam Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland effektiv beschleunigt werden kann.“

Im Scholz-Kabinett unter anderem dafür zuständig ist Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Auch er kritisierte in der Vergangenheit die Dauer für Genehmigungen, insbesondere mit Blick auf die Anerkennung von Berufsabschlüssen. „Diese Lahmarschigkeit können wir uns nicht leisten“, sagte Heil dieses Jahr.

Eigentlich hat die Bundesregierung das Thema bereits in Angriff genommen. Doch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz helfe bisher nicht, wie Salincakli beklagt: „Politiker reden und reden, aber in der Praxis passiert nichts.“ Dabei braucht es dringend Fachkräfte aus dem Ausland. Laut einer aktuellen Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen im Jahr 2027 rund 728.000 Fachkräfte. Schon heute beträgt die Fachkräftelücke 570.000.

Der Ökonom Alexander Burstedde war an der Studie beteiligt. Er forscht seit Jahren zur Fachkräftesicherung und sagt unserer Redaktion: „Ohne Zuwanderung werden die Unternehmen künftig mit noch weniger Fachkräften auskommen müssen.“ Die Folgen: „Dann kommt die Bahn noch später, der Supermarkt wird seltener beliefert und es wird noch schwieriger, einen Pflegeplatz zu bekommen.“ Salincakli berichtet von einer Türkin, die im Pflegebereich arbeiten wollte. Ihr Antrag dauerte zwei Jahre, bis er genehmigt wurde.

Fachkräfteanerkennung: „Das ist ein guter Wert, der oft nicht gesehen wird“

Offizielle Zahlen zur Bearbeitungsdauer eines Antrags gibt es so gut wie nicht. „Es erfolgt keine derart systematische Erfassung der Wartezeiten“, heißt es etwa in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweist auf die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesagentur für Arbeit auf die jeweiligen Ausländerbehörden. Von diesen Behörden gibt es in ganz Deutschland rund 550.

Auch hier: kaum Zahlen. So kann Berlin „mangels statistischer Erfassung leider nicht antworten“. Aus Frankfurt heißt es, bis zu sechs Monate seien möglich; München will Genehmigungen in zwölf Wochen bearbeiten. Die bundesweit aktuellste Zahl stammt aus dem Jahr 2023 und kommt vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Demnach würden 79 Prozent der Verfahren innerhalb von vier Monaten bearbeitet werden.

Fachkräfteantrag dauert zu lange: „Da dürften sich viele für ein anderes Zielland entscheiden“

Doch wie aussagekräftig ist die Statistik? Wie IW-Forscher Burstedde erklärt, zählen die meisten Erhebungen erst ab Eingang aller Unterlagen. Es sei sehr aufwendig, alle Dokumente zusammenzutragen. „Insofern bildet die Statistik nicht die Realität für internationale Fachkräfte ab.“ Über die tatsächliche Dauer könne nur spekuliert werden. Doch: „Man hört immer wieder, dass es ein Jahr dauern kann. Währenddessen dürften sich viele für ein anderes Zielland entscheiden.“

Burstedde kritisiert bürokratischen Hürden und zu hohe Voraussetzungen. „Die formellen Anforderungen an Sprache und formelle Qualifikation sind bei uns immer noch sehr umfangreich“, sagt Burstedde. „Hier sollte man weiter vereinfachen.“ Ein Vorschlag: „Beispielsweise sollten öfter fremdsprachige Dokumente akzeptiert und mit KI übersetzt werden.“

Zuspruch kommt von Ulf Rinne, Arbeitsmarktökonom am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Auch er verweist auf die sprachlichen Hürden, die sich „nicht leicht und nicht vollständig ausgleichen“ ließen. Ein weiteres Problem: „Deutschland ist viel zu zögerlich bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen.“ Rinnes Appell: „Die Verfahren müssen unbedingt beschleunigt werden, digitaler werden und um pragmatische Ansätze ergänzt werden.“

Ob das jedoch funktioniert, scheint fraglich: „Schnelle und digitale Verwaltungsprozesse sind bislang Wunschträume geblieben – und es gibt kaum Anlass zur Hoffnung, dass hier zügige und nachhaltige Fortschritte erzielt werden können.“ Damit müssen Nicht-EU-Fachkräfte wohl auch in Zukunft etwas länger warten, bis sie in Deutschland arbeiten dürfen. Immerhin werden sie dadurch bestens auf den Bürokratie-Alltag hierzulande vorbereitet. Auch so kann man Integration begreifen.

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