Zehn Jahre lang war Jens Stoltenberg Generalsekretär der Nato, bis er Anfang Oktober vom Niederländer Mark Rutte abgelöst wurde. Am Dienstag ist er noch einmal zu einem Abschiedsbesuch in Berlin, wo er mit großen Ehren empfangen wird: Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Stoltenberg im Schloss Bellevue das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen hat, wird Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am Abend einen Großen Zapfenstreich für den Gast aus Norwegen organisieren.

Interview: Journalist macht Stoltenberg lächerlich

Als Verfechter der transatlantischen Idee habe er die Nato in seiner Amtszeit mit „Weitsicht“ und „Tatendrang“ geführt, begründet das Verteidigungsministerium die feierliche Militärzeremonie. Neben seiner klaren Haltung zur Unterstützung der Ukraine habe Stoltenberg auch die Rolle der Nato als Verteidigungsbündnis geschärft, heißt es weiter. „Seit 2014, noch mehr seit 2022, wird der kollektiven Verteidigung eine stärkere Bedeutung zugemessen. Diesen inhaltlichen Wandel hat Jens Stoltenberg in seiner zehnjährigen Amtszeit wesentlich mitgestaltet und sich damit um die Sicherheit Deutschlands maßgeblich verdient gemacht“, schreibt das SPD-geführte Bundesverteidigungsministerium.

Im Netz verläuft Stoltenbergs Abschied dagegen nicht ganz so reibungslos. Vor allem bei X kursiert derzeit ein bereits millionenfach angeklicktes Video, das Stoltenberg in einem aktuellen Interview im norwegischen Fernsehen zeigt. Der Journalist Yama Wolasmal befragt Stoltenberg unverblümt zur Wahrnehmung globaler Bedrohungen, insbesondere im Zusammenhang mit China, das der Ex-Nato-Chef als Gefahr bezeichnet.

In wie vielen Ländern habe China in den vergangenen 40 Jahren militärisch interveniert, will Wolasmal von Stoltenberg wissen. Der Politiker setzt zur Antwort an: „Wir sehen China als …“, wird aber vom Journalisten unterbrochen, der seine Frage wiederholt. Stoltenberg antwortet mit fragendem Blick, China habe doch einen Konflikt mit Vietnam gehabt. Wolasmal: „Die Antwort ist null, der Konflikt mit Vietnam liegt mehr als 40 Jahre zurück.“ Außerdem habe China nur einen ausländischen Militärstützpunkt, fährt der Journalist fort. Die USA hingegen hätten im gleichen Zeitraum mindestens 13 Länder angegriffen, hätten 750 ausländische Militärbasen in mindestens 80 verschiedenen Ländern. „Glauben Sie immer noch, dass die Gefahr von China ausgeht?“, fragt Wolasmal Stoltenberg, der ratlos wirkt.

Former NATO boss Stoltenberg is completely annihilated by actual Journalist.

“In the past 40 years, how many countries has China intervened in militarily?

“the US has attacked at least 13 countries in the same period.

“you still think it’s China that poses a threat?” pic.twitter.com/PEnG9ptzeT

— Chay Bowes (@BowesChay) October 19, 2024

Stoltenberg hatte bereits Anfang Oktober für Aufsehen gesorgt, als er in einem Interview mit der britischen Financial Times sagte, die Ukraine könnte Gebietsverluste an Russland hinnehmen müssen. Auf die Frage, wie der Krieg seiner Meinung nach enden werde und was er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj raten würde, antwortete Stoltenberg mit einem historischen Vergleich: „Finnland hat 1939 einen mutigen Krieg gegen die Sowjetunion geführt. Sie haben der Roten Armee viel größere Kosten aufgebürdet als erwartet. Der Krieg endete damit, dass sie zehn Prozent des Territoriums aufgaben. Aber sie bekamen eine sichere Grenze“, so Stoltenberg.

Stoltenberg wird 2025 Chef der Münchner Sicherheitskonferenz

Der Norweger wird der internationalen Sicherheitspolitik übrigens erhalten bleiben: Nach der nächsten Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 wird Stoltenberg den bisherigen Leiter Christoph Heusgen als Konferenzvorsitzenden ablösen. Anfang 2026 wird die Konferenz dann erstmals unter Stoltenbergs Leitung stattfinden.