Die Kartoffelbauern in Deutschland sind alarmiert. Die Schilfglasflügel-Zikade, ein Schädling, der bislang vor allem bei Zuckerrüben auftrat, befällt immer häufiger auch Kartoffeln: Die Knollen werden schrumpelig und weich, die Bauern nennen sie deshalb auch Gummiknollen. Ein Gegenmittel gibt es bislang nicht, obwohl mit Hochdruck danach gesucht wird.

„Der Schädling ist vor allem in Süddeutschland ein Problem“, sagt Luitpold Scheid vom Institut für Pflanzenschutz der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). „Außerdem in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.“ Bei Zuckerrüben verursache die Schilfglasflügel-Zikade 50 Prozent Ernteausfall, manchmal mehr. Dass der Schädling auch Kartoffeln befällt, wurde erst vor zwei Jahren entdeckt. Deshalb gebe es noch wenige belastbare Zahlen über das Ausmaß des Ertragsverlusts. Vermutlich seien die Schäden aber ähnlich groß.

Es gibt immer mehr Zikaden

Besonders dramatisch ist die Situation im Süden von Rheinland-Pfalz: „Was man aus der Pfalz hört, ist extrem beängstigend“, sagt Scheid. Sowohl der Ertragsverlust als auch der Qualitätsverlust seien dort beträchtlich. In Bayern ist die Gegend um das fränkische Ochsenfurt besonders stark betroffen. Und vieles deutet darauf hin, dass es dabei nicht bleiben wird. „Der Befall schaukelt sich regional auf“, sagt Scheid. Das heißt, es gibt immer mehr Zikaden. Was den Bauern zusätzlich Sorgen macht: Die Schilfglasflügel-Zikade breitet sich Richtung Altbayern und Schwaben aus, wo mehr Kartoffeln angebaut werden als in Franken. Außerdem werden dort auch Zuckerrüben angebaut – paradiesische Bedingungen für die Insekten.

Der eigentliche Grund für die enormen Schäden sind aber gar nicht die Zikaden selbst, sondern zwei bakterielle Krankheitserreger, die die Insekten beim Saugen an den Pflanzen übertragen. Das Bakterium Arsenophonus hat bei Rüben zur Folge, dass der Zuckergehalt dramatisch einbricht. „Er kann um ein Drittel reduziert sein“, sagt Scheid. Bei Kartoffeln sinkt der Stärkegehalt, gleichzeitig steige aus bisher unbekannten Gründen der Gehalt an reduzierten Zuckern. Das ist vor allem ein Problem für die Hersteller von Pommes Frites und Chips:  „Ein hoher Gehalt an reduzierten Zuckern führt zu einer massiven Braun-Schwarzfärbung der Ware und dann ist sie nicht verwendbar“, sagt Scheid.

Der zweite Erreger, Phytoplasma solani, lässt die Wurzeln der Pflanzen absterben, als Konsequenz sinkt der Wassergehalt der Feldfrüchte, sie werden weich und gummiartig. Sie wachsen dann außerdem nicht weiter, sondern bleiben klein. „Die beiden Erreger können gemeinschaftlich auftreten“, sagt Scheid. Manchmal findet sich aber auch nur einer von beiden in geschädigten Pflanzen. Dass beide Erreger auch bei Kartoffeln von den Glasflügel-Zikaden übertragen werden, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Julius-Kühn-Instituts erst im Frühjahr eindeutig nachgewiesen. Zudem fanden die Forschenden heraus, dass die Schädlinge manchen Kartoffelsorten weniger stark zusetzen als anderen.

Die schädlichen Insekten breiten sich mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Jahr aus

Doch woher kommt die nicht einmal einen Zentimeter große, bräunlich-grüne Schilfglasflügel-Zikade eigentlich? „Sie war schon immer da“, sagt Scheid. Allerdings hat sie früher keine Feldfrüchte befallen, sondern – wie der Name schon vermuten lässt – an Schilf gesaugt. Irgendwann haben die Insekten dann die Zuckerrüben als Wirtspflanze entdeckt. „Die ersten Schäden an Zuckerrüben sind 1991 im Burgund beobachtet worden“, sagt Scheid. In den Jahren 2007 und 2008 sei das Problem dann erstmals in Deutschland aufgetreten – in der Umgebung von Heilbronn.

Seitdem haben sich die Insekten stark vermehrt und breiten sich rasant aus – mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern pro Jahr. Der Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich, da sich die Zikaden in trockenen heißen Sommern besonders stark vermehren, während ihre Wirtspflanzen durch Trockenheit und Hitze geschwächt werden.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen mit Hochdruck nach einer Möglichkeit, die Zikaden zu bekämpfen, bislang allerdings mit wenig Erfolg. Teil des Problems ist, dass die meisten Insektizide erst wirken können, wenn die Zikaden schon auf den Pflanzen sitzen, saugen und dabei die Krankheitserreger übertragen. „Die Frage ist, was schneller ist: Die Wirkung des Insektizids oder die Übertragung der Krankheitserreger“, sagt Scheid. Etwas hilflos wirkt auch die Überlegung, auf die Bestellung der Felder im Winter zu verzichten, weil das aus bisher unbekannten Gründen die Überlebenschancen der Zikaden-Nymphen im Boden reduziert.

Nicht gerade ermutigend ist, dass die Zikaden sich nicht mit Zuckerrüben und Kartoffeln zufriedengeben. Die Schädlinge entdecken immer neue Wirtspflanzen, was ihre Vermehrung und Ausbreitung weiter ankurbelt. Dieses Jahr wurden sie erstmals an Karotten, Roter Beete und Gemüsezwiebeln gefunden.