Der deutsche Botschafter in Österreich, Vito Cecere, im Gespräch mit MeinBezirk über Österreichs Stärken und wo es in der Zusammenarbeit mit Deutschland Luft nach oben gibt.
ÖSTERREICH. Seit genau einem Jahr, also seit September 2023, ist Vito Cecere Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Österreich. Der 57-jährige Politikwissenschaftler und Historiker aus Niedersachsen lebt seither mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Wien.
MeinBezirk: Herr Botschafter, unter den ausländischen Staatsangehörigen sind Deutsche weiterhin die mit Abstand größte Gruppe in Österreich. Woran liegt das, wenn man von der gleichen Sprache absieht? Was macht Österreich für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger so attraktiv?
Vito Cecere: Nach den neuesten statistischen Erhebungen sind es über 360.000 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Österreich leben. Dass Österreich landschaftlich ein schönes Land und auch kulturell interessant ist, trägt dazu bei, und natürlich die sprachliche Nähe zwischen Deutschland und Österreich. Der Anteil der deutschen Studierenden an österreichischen Universitäten ist sehr hoch – das zeigt die hohe Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Österreich. Außerdem verbinden uns 800 Kilometer gemeinsame Grenze, mit geteilten Lebenswirklichkeiten im grenznahen Bereich.
Österreich hat zuletzt Güter im Wert von über 69 Milliarden Euro aus Deutschland importiert, also fast ein Drittel des österreichischen Importvolumens, verzeichnete zuletzt aber ein Minus von 7,5 Prozent. Auch umgekehrt exportierte Österreich Güter nach Deutschland im Wert von fast 60 Milliarden Euro, rund 29 Prozent des Exportvolumens, auch hier aber ein kleines Minus von fast einem Prozent. Woran liegt es, dass der Handel zurückgeht?
Ich denke, das ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die in diesen Zeiten schwierig ist. Deutschland wie Österreich hat es mit wirtschaftlichen Herausforderungen zu tun, die auch damit zusammenhängen, dass die Wettbewerbsfähigkeit in Europa unter “Stress” steht. Aber ich denke, dass die Basis weiterhin gut und gesund ist. Österreich ist seit vielen Jahren das siebt wichtigste Exportland für Deutschland, und umgekehrt wird aus Österreich in einem großen Maße importiert. Beide Volkswirtschaften stehen in einem Prozess der Transformation. Als Exportnation ist Deutschland darauf angewiesen, dass unsere Produkte in der Welt auf offene Märkte stoßen. Und die Konkurrenz schläft nicht. Ich glaube, das macht sich bereits sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Wirtschaft bemerkbar. Mit über 130 Milliarden ist das Handelsvolumen jedoch im Saldo immer noch sehr stark. Aber man muss etwas dafür tun, dass auch künftig Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist.
Mehr als 4.000 deutsche Unternehmen sind in Österreich tätig. Diese sichern nach Schätzungen der Wirtschaftskammer rund 360.000 Arbeitsplätze in Österreich. Was macht den Wirtschaftsstandort Österreich für deutsche Unternehmen attraktiv, und wo sieht man noch ein bisschen Luft nach oben?
Österreich ist ein Industrieland, gerade auch im Bereich der Zulieferindustrie, also des Maschinenbaus, Stichwort Fahrzeugzulieferindustrie. Starke Player am Standort machen es attraktiv für deutsche Unternehmen, hier zu investieren und Produkte zu produzieren bzw. zu importieren, sodass das Zusammenwirken zwischen den beiden Wirtschaften sehr eng ist. Ein weiterer Attraktivitätsfaktor für den Standort Österreich ist das hohe Bildungsniveau, die Qualifizierung der Arbeitskräfte. Österreich ist ein Wissenschaftsland. Deswegen studieren auch viele Deutsche in Österreich. Das zeigt, Österreich ist ein Land mit Voraussetzungen für Innovation, mit Voraussetzungen dafür, dass hier Dinge entwickelt werden können, und das ist für eine exportorientierte Industriewirtschaft wie die deutsche sehr wichtig. Wo ist noch Luft nach oben? Ich denke, dass man im Bereich der Energiezusammenarbeit Möglichkeiten hat, strategischer zusammenzuarbeiten, weil die gemeinsame Energieversorgung auch im Sinne einer Energiesicherheit im Interesse beider Länder ist. Auch hier ist Österreich sehr innovativ und für viele Betriebe in Deutschland ein Vorreiter. Man denke an die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, die in Österreich sehr weit vorangeschritten ist.
Hans Dieter Pötsch, Präsident der Deutschen Handelskammer in Österreich (DHK) wünscht sich von Österreichs Politik künftig neben dem Ausbau internationaler Kooperationen (u.a. Mercosur-Abkommen) und einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Energieversorgung auch bessere Rahmenbedingungen für Bildung und Innovation sowie den Abbau von Bürokratie. Würden Sie das bestätigen?
Auf jeden Fall. Aus der deutschen Perspektive ist es von großem Interesse, dass wir diese handelspolitische Offenheit nicht nur in den einzelnen Mittelstaaten, sondern in der Europäischen Union insgesamt fördern und voranbringen. Mercosur, das Handelsabkommen mit den Staaten Lateinamerikas, ist da ein wichtiges Thema, wo es zwischen Deutschland und Österreich auch unterschiedliche Sichtweisen gibt. Verständlicherweise, weil es auch immer darum geht, die Interessen der heimischen Landwirtschaft im Blick zu behalten. Gleichwohl glaube ich, dass die Stärke der europäischen Export-Wirtschaften und insofern auch Österreichs schon darin liegen, dass man möglichst barrierefrei weltweit Handel treiben kann. Für die deutsche Bundesregierung ist das ein absolutes Essential. Der Bundeskanzler hat dies immer wieder betont und insofern ist das ein Thema, bei dem man mit Österreich weiter im Gespräch bleiben muss, um hier Wege zu finden, wie man das weiterentwickelt.
Was das Thema Bürokratieabbau angeht, so ist das in Deutschland, wie in Österreich, ein dringendes Anliegen der Wirtschaft, mit Blick auf bestehenden Regulierungen oder Berichtspflichten im Kontext der Energiewende. Da haben wir in diesem Jahr im Zuge der Wahlen zum Europäischen Parlament sehr genau gesehen, dass die Wirtschaft gegenüber der Politik klare Vorstellungen hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auf europäischer Ebene im Rahmen der neuen Kommission auf offene Ohren stößt.
Die beliebtesten Handelsgüter mit Deutschland sind Maschinen und Fahrzeuge. Gerade hört man, dass VW ins Strudeln geraten ist. Was bedeutet das für den österreichischen Markt?
Wie schon erwähnt, Märkte und Produkte verändern sich. Die deutsche Automobilindustrie, nicht nur Volkswagen, auch andere große Player, wie Daimler oder BMW, haben schon auf Elektromobilität umgestellt, weil das ein Markt der Zukunft ist. Auch in Verbindung mit der Bekämpfung des Klimawandels und der Energiewende, der Mobilitätswende, sind das Zukunftsthemen. Da geht es um Innovation. Mein Eindruck ist, dass die Wirtschaft sehr genau weiß, was die Perspektiven sein können und sie investiert auch in dem Bereich. Die Politik muss entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Das führt zu Veränderungen. Das ist diese Transformation, von der alle sprechen. Und man muss auch ehrlich sein: Wir brauchen eine Phase der Veränderung. Da braucht es vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle mutige politische Entscheidungen, aber es geht um Perspektiven für die Wirtschaft. Es nützt nichts, an Industrieprodukten festzuhalten, wenn man merkt, dass sich die Märkte bzw. sich der Wettbewerb verändert, weil andere Player auf dem Weltmarkt erkennbar und tätig werden, wie China beispielsweise. Der Vorteil der österreichischen bzw. europäischen Industrie ist der Qualitätsaspekt. Will man diesen zur Geltung bringen, so braucht man Innovation und auch eine gewisse Technologieoffenheit. Das ist in der Automobilindustrie die Herausforderung der Stunde. Vor dieser Herausforderung steht auch Volkswagen letzten Endes, deswegen auch die aktuelle Diskussion über die Frage, wie man sich da neu aufstellt.
In Deutschland hat sich bei den jüngsten Landtagswahlen gezeigt, dass die Rechten bei den Wählerinnen und Wählern besonders gut ankommen. Das ist ein allgemeines Phänomen auch in Österreich – aber woran liegt das?
Wir beobachten in vielen europäischen Ländern, gerade auch in den gefestigten Demokratien wie Deutschland, Österreich oder Italien, dass rechtspopulistische Kräfte im Aufwand sind. Ich glaube, das hat viel zu tun mit den vorher erwähnten Veränderungen um uns herum. Wir stellen fest, dass die Welt sich nicht mehr automatisch nach unserem Wohlstandsmodell richtet, sondern dass die Konkurrenzsituation zunimmt. Das führt in vielen Gesellschaften dazu, dass dieser Zukunftsoptimismus, der uns über Jahrzehnte getragen hat, nach dem Motto “es geht immer weiter, der Fortschritt ist auf unserer Seite”, nicht mehr so ungebrochen ist, wie in der Vergangenheit. Diese Verunsicherung führt bei manchen zu Ängsten und das macht sich dann in Wahlerfolgen rechtspopulistischer oder überhaupt populistischer Parteien bemerkbar. Weitere aktuelle Themen irritieren die Menschen zusätzlich, wie beispielsweise der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder aber auch die Migrationsfrage, die natürlich mit Unsicherheiten verbunden ist. Am Ende ist es wichtig, Lösungen zu finden und dabei stabile und seriöse Politik zu betreiben.
Woran merken Sie im Alltag, dass Sie in Österreich und nicht in Deutschland sind, außer an der Sprachfärbung?
Ich merke es an kleinen Dingen, was etwa die Kaffeehauskultur angeht, was das Katholische betrifft, das mit dem preußisch-protestantischen Berlin beispielsweise oder Norddeutschland, wo ich herkomme, nicht immer identisch ist. Man merkt natürlich, dass es an vielen Stellen aus österreichischer Perspektive auf Deutschland eine gewisse Neugier gibt, was der große Nachbar im Nordwesten so macht, im Positiven als auch im Negativen. Und man merkt, dass man hier sehr willkommen ist als deutscher Botschafter und sehr viele Zugänge hat – das freut mich natürlich.
Was sind Ihre beliebtesten Plätze in Österreich?
Ich bin an vielen Stellen gewesen, wo ich mich sehr wohlfühle. Was mir sehr gut gefallen hat, neben vielem anderen, ist der Neusiedler See. Ich finde, das ist eine ganz interessante Landschaft. Wenn man von der Mörbischer Seite in Richtung Norden fährt und dort diese Dünenlandschaft mit Hügeln und vielen Gräsern vorfindet, dann erinnert mich das an die norddeutsche Dünenlandschaft. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass es zwischen dem Neusiedler See und dem niedersächsischen Wattenmeer, eine sehr enge Partnerschaft gibt. Aber ich fühle mich genauso wohl in allen anderen Bundesländern.
Danke für das Gespräch.
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