Deutschland kann einem derzeit vorkommen wie ein Land im allerletzten Schlussverkauf: Alles muss raus! Der Nachfolger will das Objekt besenrein. Der Bahnlogistiker Schenker ist nach Dänemark verkauft. Der als „Perle im Dax“ benannte Kunststoffhersteller Covestro geht nach Abu Dhabi, die Commerzbank befindet sich im „Endkampf“ gegen die italienische Unicredit , wie ein Analyst vom Bankhaus Metzler schreibt, der den Deutschen dabei keine hohen Überlebenschancen einräumt. Und schlecht gemanagte Top-Mittelständler, wie der Nürnberger Autozulieferer Leoni haben Glück, wenn sie überhaupt noch jemanden finden, der sich für sie interessiert. Auch wenn es wie in diesem Fall chinesische Eigentümer sind. Die vier sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

Der Ausverkaufs-Cocktail: Chefs an der Altersgrenze, günstige Bewertungen und sinkende Zinsen

Andreas Bonnard ist Partner bei der internationalen M&A-Beratung Marktlink, er berät Käufer wie Verkäufer und ist spezialisiert auf Unternehmen, die zwischen fünf und 50 Millionen Euro Gewinn erwirtschaften – auf die also, die den typischen deutschen Mittelstand ausmachen. „Ausländische Investoren werden durch die Wirtschaftskrise in Deutschland angezogen“, stellt er fest. „Die Zinsen sinken, die Bewertungen wahrscheinlich nicht mehr.

Bis vor kurzem hatten Verkäufer noch eine hohe Preiserwartung. Die Bieter machten da nicht mit. Das hat sich angenähert. Jetzt purzeln die Abschlüsse nur so.“ Und noch eine weitere Entwicklung macht er für das Verkaufsfieber verantwortlich: „Die Verkaufsbereitschaft ist bei Unternehmen in Deutschland gestiegen – schon aus demografischen Gründen, weil die Babyboomer die Altersgrenze erreichen und sich zurückziehen möchten.“

Von gefüllten Auftragsbüchern keine Rede mehr

Steffen Cyris ist Inhaber und Geschäftsführer des fränkischen Kühlthekenbauers Schrutka-Peukert, über ihn berichtete kürzlich die Nachrichtenagentur Bloomberg. Noch auf der Weihnachtsfeier des Betriebs hatte Cyris von endlich wieder besser gefüllten Auftragsbüchern geschwärmt. Nur Wochen später sah alles schlagartig ganz anders aus. Metzger und Bäcker klagten im Frühjahr 2024 über die Streichung von Fördermitteln und begannen, Aufträge zu stornieren. Weil das Land in die Rezession gerutscht ist, macht sich Cyris jetzt sogar Sorgen um die langfristige Perspektive seines Betriebs. „Die Situation ist so angespannt — ich bin nicht sicher, ob ich ein Angebot eines Investors ablehnen würde, falls eines kommen sollte”, sagt er.

Natürlich gibt es trotz aller Ausverkaufsstimmung hierzulande auch den umgekehrten Fall: Deutsche Unternehmen gehen im Ausland auf Einkaufstour. Zu den größten Deals des Jahres gehört die 4,5 Milliarden schwere Übernahme des Wind- und Solarparkbetreibers Encavis durch Familienunternehmer Max Viessmann und den Finanzinvestor KKR. Viessmann hatte allerdings zuvor sein Kerngeschäft mit Heizungen an einen US-Konkurrenten verkauft. Auch der Technologiekonzern Bosch schlägt zu und erwirbt für acht Milliarden Euro vom US-Konzern Johnson Controls das Geschäft mit Klimaanlagen.

Das Kauf- und Verkaufsfieber wird durch sinkende Zinsen angetrieben. Geld ist wieder billig zu haben, was die Zahl der Deals anschiebt.

„In Deutschland entwickelt, Made in USA — das könnte unser Weg sein”

In den ersten neun Monaten wurden weltweit laut Bilanz des Datenspezialisten LSEG Übernahmen mit einem Volumen von 2,3 Billionen Dollar angekündigt, ein Anstieg von 17 Prozent. Das Volumen der Deals mit deutscher Beteiligung steigt seit Jahresbeginn besonders stark an: um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings ist der Trend nicht völlig neu: Mehr als die Hälfte der DAX-Aktien sind bereits in ausländischer Hand. Bei einigen Konzernen haben sich ausländische Investoren als sogenannte Anker-Aktionäre fest etabliert – allen voran das Emirat Katar, das unter anderem 17 Prozent an Volkswagen , acht Prozent an der Deutschen Bank und mehr als drei Prozent am Technologiekonzern Siemens hält.

Dennoch hat der derzeitige Ausverkauf in Deutschland eine Besonderheit. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der niederländischen Großbank ING, sagte dazu kürzlich in der „Tagesschau“: Deutsche Unternehmen seien im internationalen Vergleich ein Schnäppchen. Dabei seien sie in vielen Bereichen Technologieführer. Brzeski vermisst eine „gesamtheitlichen Industriestrategie” bei der Regierung. Und M&A Berater Bonnard wird noch deutlicher: „Wir leisten uns Luxusthemen wie den Abschied von günstiger Atomenergie und einen hohen Regulationsaufwand. Dazu kommt ein eher unternehmerunfreundliches Klima in Deutschland.“ Deswegen werde derzeit mehr ins Ausland verkauft, als wieder hereinkomme. „Der Saldo schlägt in Richtung Verkauf aus, weil viele Unternehmer es satt sind, sich das hier in Deutschland weiter anzutun“, sagt der Berater.

Unternehmer schauen sich außerhalb Deutschlands und sogar Europas um

So wie Unternehmer Cyris. Der Bericht über ihn geht so weiter: Er schaue sich außerhalb Deutschlands und sogar Europas um. Einen Teil des derzeit in Deutschland wegbrechenden Geschäfts gleicht Schrutka-Peukert dadurch aus, dass es seine Kühlräume zur Reifung von Dry-Aged-Rindfleisch unter der Marke The Aging Room in den USA vertreibt. Die Anlagen finden bei Gourmetrestaurants und Metzgereien von Kalifornien bis Florida so guten Absatz, dass Cyris schon überlegt, einen Investor an Bord zu holen. „In Deutschland entwickelt, Made in USA — das könnte unser Weg sein”, sagt er.

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