Eine neue Umfrage erkundet das Verhältnis der Schweizer Stimmberechtigten zur EU und den Bilateralen. Viele fürchten den Verlust der nationalen Souveränität.

Allgemein ist das Interesse der Schweizer an Europa und EU gross.
Allgemein ist das Interesse der Schweizer an Europa und EU gross.

Gaëtan Bally / Keystone

ela. Schweizer, wie hältst Du es mit der EU? Dieser Frage ist das Forschungsinstitut GfS Bern nachgegangen. Dies anlässlich von 25 Jahren bilateralen Verträgen und auch, weil noch in diesem Jahr das neue Abkommen fertig verhandelt sein könnte.

Allgemein ist das Interesse der Schweizer an Europa und EU gross. Von den rund 20 000 Befragten gaben nur 8 Prozent an, sich nicht dafür zu interessieren. Allerdings löst gerade die EU gemischte Gefühle aus: Eine relative Mehrheit von 49 Prozent betrachtet die EU negativ. Nur 28 Prozent der stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer sind der EU gegenüber positiv gestimmt, 22 Prozent haben gemischte Gefühle.

«Tiefe gesellschaftliche Spaltung»

Insbesondere Personen mittleren Alters äussern sehr oder eher negative Gefühle gegenüber der EU. Aber auch, wer nur eine geringe Bildung hat, hält wenig von der EU, ebenso Personen, die der Schweizer Regierung misstrauen.

Die Zugehörigkeit zu politischen Lagern beeinflusst die Sichtweise auf die EU stark. Wer sich links-grünen Parteien verbunden fühlt, steht auch (eher) positiv zur EU. Stimmberechtigte, die sich der SVP zugehörig fühlen, hegen zu 86 Prozent sehr negative Gefühle für die EU. GfS Bern konstatiert, dass dies auf eine «tiefe gesellschaftliche Spaltung» hindeute. «Diese Spaltung könnte zu stabilem Lagerdenken führen, bei dem parteipolitische Überzeugungen schwerer wiegen als eine pragmatische Abwägung der Vor- und Nachteile der europäischen Integration.»

Wer die EU positiv sieht, begründet das vor allem damit, dass sie ein erfolgreiches Friedens- und Wohlstandsprojekt sei. Man schätzt die Stabilität und den Wohlstand, die die Zusammenarbeit mit der EU der Schweiz gebracht habe, sowie das Wegfallen von Handelsbarrieren und die Personenfreizügigkeit. Angesichts der Weltlage mit Kriegen und Klimawandel wird die Einbindung der Schweiz in ein grösseres Gefüge als notwendig erachtet.

Wer der EU positiv gegenübersteht, findet auch, dass die Beziehungen der Schweiz zur EU weitreichend genug sind oder auch noch ausgebaut werden sollten.

Wer dagegen mehrheitlich negativ über die EU denkt, führt als Argument meist den Verlust an nationaler Souveränität an. Weit verbreitet ist laut der Umfrage das Gefühl, Kontrolle und Unabhängigkeit an die EU-Institutionen abzugeben. Die EU wird als bürokratischer, intransparenter und schwerfälliger Moloch empfunden. Viele Schweizer Stimmberechtigte fühlten sich nicht hinreichend in den Entscheidungsprozessen der EU repräsentiert, heisst es in der Studie.

Bilaterale für die Wirtschaft wichtig

Trotz den durchaus gemischten Gefühlen der EU gegenüber findet eine Mehrheit von über 80 Prozent die Bedeutung der bilateralen Verträge als sehr wichtig – dies sowohl für die Schweizer Wirtschaft als auch für die Schweiz als kleines Land in Europa. Auf der persönlichen Ebene allerdings empfinden nur 54 Prozent die Bilateralen als wichtig, 44 Prozent empfinden sie als unwichtig. Möglicherweise glaubten die Befragten, dass die wirtschaftlichen Vorteile eher der Wirtschaft nützten und weniger den Individuen zugutekämen, schreibt GfS Bern.

Das Forschungsinstitut wollte auch wissen, welche Vor- und Nachteile der Bilateralen sich seit deren Einführung aus Sicht der Befragten bewahrheitet haben. Eine klare Mehrheit findet, dass sich die Versprechungen über den gesicherten Zugang der Schweizer Wirtschaft zum wichtigsten Exportmarkt sowie die Abfederung des Fachkräftemangels durch den Zugang ausländischer Arbeitskräfte bewahrheitet haben. Auch die Möglichkeit, überall in der EU leben und arbeiten zu können, sei eingetroffen.

Eine klare Mehrheit findet aber auch, dass mehrere Befürchtungen Realität geworden seien. Die Personenfreizügigkeit habe die Zuwanderung verstärkt, was wiederum die Sozialwerke belaste. Auch die Löhne seien unter Druck geraten und die Miet- und Immobilienpreise in die Höhe geschossen.

Hier lässt sich laut der Studie eine ambivalente Haltung zur Migration erkennen. Die Schweizer sehen den Nutzen ausländischer Arbeitskräfte, fürchten aber gleichzeitig soziale Spannungen und wirtschaftliche Ungleichheiten.

Ob die Bilateralen zur Erhöhung der Kriminalität beigetragen haben, darüber gehen die Meinungen auseinander: 47 Prozent finden ja, 46 Prozent sagen, diese Annahme sei nicht eingetroffen.

Und wie schauen die Befragten in die Zukunft? Knapp über 70 Prozent befürworten die laufenden Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel über die Weiterentwicklung der Bilateralen als (eher) richtig. Ein Viertel sieht das anders. Und auch in der Dringlichkeit sind sich die Befragten uneinig.

Die GfS schliesst aus diesen unterschiedlichen Wahrnehmungen, dass es an einer klaren Vision fehle, wie die Beziehung zur EU gestaltet werden solle: «Es scheint, dass es bisher nicht vollständig gelang, eine überzeugende Perspektive für die europäische Integration oder für entsprechende Alternativen zu entwickeln.»