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Das ICCT erläutert eine Neuauflage der Abwrackprämie. Ein Verkehrswissenschaftler hält diesen Plan für Deutschland als nutzlos und äußert scharfe Kritik.

Friedrichshafen/München – Mit einer Abwrackprämie 2.0 könnte die Verkehrswende in Deutschland Fahrt aufnehmen, prognostiziert das International Council on Clean Transportation (ICCT).

Die Organisation setzt sich für eine Neuauflage ab 2025 ein, bei der rund acht Millionen Verbrenner von deutschen Straßen verschwinden und sukzessive durch Elektroautos ersetzt werden. Nach Veröffentlichung gibt es jedoch Gegenwind.

Kritik an der Abwrackprämie: Professor hält ICCT-Studie für untauglich

Geht es nach Prof. Dr. Alexander Eisenkopf von der ZEPPELIN Universität Friedrichshafen, ist der ICCT-Vorschlag wenig tauglich. Der Verkehrsexperte erklärt in einem Gastbeitrag bei Focus.de, warum er diese Form einer neuen Abwrackprämie für „wissenschaftlichen Müll“ hält.

Seiner Ansicht nach ist ein solches Konstrukt keineswegs besser geeignet als die Dekarbonisierung der bestehenden Fahrzeugflotten durch den Einsatz von E-Fuels. Dabei weist Eisenkopf darauf hin, dass das Klimaziel der Studie nicht mehr existiere. Der Hintergrund: Das zögerliche Vorgehen der Ampelkoalition beim Klimaschutz beinhaltet mitunter eine Aufweichung, wobei insbesondere der Verkehrssektor diesbezüglich Nachholbedarf hat.

Abwrackprämie Verkehrssektor: ICCT-Studie „fiktiv und irrelevant“?

Laut ICCT gibt es dennoch eine Lücke von 34 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent (CO2e) im Pkw-Bereich, die bis 2030 geschlossen werden müsste. Eine Abwrackprämie könnte ein Drittel dazu beitragen und so die Luftqualität merklich verbessern. Als „rein fiktiv und irrelevant“ bezeichnet der Akademiker jedoch die veröffentlichte These.

Schrottfahrzeuge im Norden von Deutschland: Aktuell gibt es eine Debatte um die Neuauflage einer Abwrackprämie

Schrottfahrzeuge im Norden von Deutschland: Aktuell gibt es eine Debatte um die Neuauflage einer Abwrackprämie. © Fotoagentur Nordlicht/IMAGO

Eisenkopf sieht die Veranschlagung von 35 Milliarden Euro aus der Staatskasse für die Idee kritisch – die realen Kosten wären seiner Meinung nach höher. Laut dem Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Verkehrspolitik könne der Vorschlag der Forschungsorganisation nur bei einer „oberflächlichen Betrachtung“ Zustimmung finden.

Geht es nach Dr. Peter Mock vom ICCT, beruht die Kritik jedoch auf einem Missverständnis: Wie uns der Europa-Chef auf Anfrage mitteilt, empfehle sein Institut keineswegs ein Abwrackprogramm. „Mit unserer Studie wollten wir vor allem darauf hinweisen, dass für zukünftige Jahre mit einer erheblichen Lücke zwischen Klimaschutzzielen und der erreichten Emissionsreduktion zu rechnen ist.“

Scheitert die Abwrackprämie an zu wenig Elektroautos?

Mock führt gegenüber IPPEN.MEDIA aus, man versuchte ein Modell zu entwickeln, dass auf möglichst positive Gesundheitsaspekte hinsichtlich der Luftschadstoffe abzielt: „Eine denkbare Möglichkeit, um diese Lücke zu schließen, ist ein Abwrackprogramm.“

Ein weiterer Kritikpunkt von Eisenkopf an dem vorgeschlagenen Modell der Abwrackprämie betrifft die Kapazitäten. Bei einem schnellen Umstieg auf Elektroautos könnte es Probleme bei der Verfügbarkeit geben, da „nicht genug elektrische Fahrzeuge“ bereitstehen. Was Eisenkopf außer Acht lässt: Das ICCT-Papier richtet den Fokus auf das Emissionsminderungspotenzial.

Die gemeinnützige Organisation fordert gleichwohl eine „Erhöhung der Mittel für den öffentlichen Nahverkehr“, was sich positiv auf die Resonanz für ein Abwrackprogramm auswirken könnte. Das bedeutet, nicht alle Personen, die eine Umweltprämie in Anspruch nehmen, würden sich einen Neuwagen zulegen.

Was ist das ICCT?

Das International Council on Clean Transportation (ICCT) versteht sich als unabhängige, gemeinnützige Organisation. Ihr Hauptziel ist die Forschung und Analyse von Verkehrsemissionen, um Entscheidungsträger mit fundierten Informationen zu unterstützen. Eigenen Angaben zufolge wird das ICCT weder von Regierungen noch von der Industrie finanziert.

ICCT fordert Abwrackprogramm: Kritik wegen Klimabilanz von E-Autos

Was Prof. Eisenkopf noch bemängelt: Der ICCT blende „wie gewöhnlich“ aus, dass Elektroautos beim derzeit in Deutschland bestehenden Strommix keineswegs klimaneutral sind. „Batterieelektrische Fahrzeuge sind nur lokal, aber nicht global emissionsfrei, und das ist der klimapolitisch relevante Punkt“, erklärt der Lehrstuhlinhaber. Ihm fehlen in der Studie Hinweise auf die CO₂-Intensität des Ladestroms, die seiner Meinung nach „massiv unterschätzt“ sei. Jedoch gibt es diesbezüglich eine positive Entwicklung.

Auch die unvorhersehbare Resonanz unter Autokäufern werde nicht berücksichtigt: Viele seien nicht in der Lage, bei nur 80 Prozent des Restwerts einen jungen Gebraucht- oder gar Neuwagen zu finanzieren. Dazu kommt, dass die Menschen in Deutschland ihre Autos immer länger fahren: Der Anteil von Fahrzeugen, die zehn Jahre und älter sind, stieg von 40,2 Prozent im Jahr 2019 auf 46,3 Prozent (2024).

CO₂-Rucksack bei der Abwrackprämie: Alte Autos verschrotten, neue kaufen

Eisenkopf wirft dem ICCT Ungenauigkeiten bei der Kostenvermeidung und dem sogenannten CO₂-Rucksack vor, wenn Bestandsfahrzeuge verschrottet und durch neue ersetzt werden. Bei einer Abwrackprämie entstünden nicht nur Kosten durch die Verschrottung, auch die Neuwagenproduktion mitsamt der erforderlichen Ressourcen verursache erhebliche Zusatzkosten und zusätzliche CO₂-Emissionen.

Warum Verbrenner neben E-Autos existieren müssen

Infrastruktur: E-Autos benötigen eine entsprechende Infrastruktur, um aufgeladen zu werden. Derzeit gibt es noch nicht genügend öffentliche Ladestationen, um den Bedarf zu decken. Für lange Strecken oder abgelegene Orte sind Verbrenner daher immer noch die praktikablere Option.

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Zusätzlich betont er, dass bei modernen Fahrzeugen mit viel Elektronik die Betriebskosten höher seien, mit Auswirkungen auf den Wertverlust und die Abschreibung. Deshalb seien „die Aussagen zur gesellschaftlichen Vorzugswürdigkeit einer Abwrackaktion und deren CO₂-Vermeidungskosten ökonomisch wenig belastbar“.

Studie vergleicht Abwrackprämie 2.0 mit E-Fuels

Die ICCT-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Abwrackprämie 2025 oder später günstiger und effizienter wäre als der Einsatz von E-Fuels. Hierbei, so Eisenkopf, liege jedoch ein Berechnungsfehler vor: Die Studie orientiert sich an den „sehr schwachen Vorgaben“ der europäischen Richtlinien über den Einsatz erneuerbarer Energien (RED III). Der Professor hält es für unwahrscheinlich, dass die Produktion von synthetischem Treibstoff 2030 immer noch das Vierfache eines heutigen Liters fossilen Kraftstoffs kostet.

Die Internationale Energieagentur habe festgestellt, dass E-Fuels derzeit noch teuer seien, aber die Preisdifferenz zu fossilen Brennstoffen in den kommenden Jahren sinkt. Der Focus-Gastbeitrag hebt außerdem hervor, dass der ab 2027 in Kraft tretende Emissionshandel für Verkehr und Gebäudeenergie die Emissionen im Verkehrssektor wirksam begrenzen könne.

Neue Abwrackprämie für Deutschland? Unvorhersehbare Kosten bei E-Fuels

Dr. Mock erläutert gegenüber IPPEN.MEDIA, dass ein wichtiger Punkt der Studie die Unterscheidung von Dieselmodellen und Benzinern ist: „(…)denn bei alten Diesel-Pkw sind die gesundheitlichen Vorteile eines Abwrackprogramms um ein Vielfaches höher als Benzinern“, schildert uns der Geschäftsführer des ICCT Europa.

„Wenn aber Abwrackprogramm, dann sollte dieses möglichst auf die positiven Gesundheitsaspekte hinsichtlich Luftschadstoffen zielen“, erläutert Mock. Zudem ist der Doktor im Ingenieurswesen hinsichtlich E-Fuels anderer Auffassung: „Die Kosten werden auch im Jahr 2030 noch sehr viel höher liegen als die für konventionelle Kraftstoffe heute, das zeigen nicht nur unsere eigenen Untersuchungen, sondern auch die anderer Institute und Behörden.“

Produktion Elektrofahrzeuge VW ID3 im VW Werk Zwickau

Deutschland steckt in der Elektroauto-Krise: VW ID.3 und Co. haben weniger Absatz als erwartet. © Uwe Meinhold/imago

Denn der grundlegende Nachteil von synthetischen Kraftstoffen werde sich nicht ändern: dass bei der Erzeugung ein Großteil der eingesetzten Energie verloren geht und nicht im Fahrzeug ankommt.

Abwrackprämie hätte Folgen für den Gebrauchtwagenmarkt – welche Maßnahmen wirklich helfen

Schließlich weist Eisenkopf auf die „kontraproduktive Interventionsspirale mit hohen gesellschaftlichen Kosten“ hin. Eine Rückkehr der Abwrackprämie in Deutschland könnte seiner Meinung nach unabsehbare Folgen für die Preise auf dem Gebrauchtwagenmarkt haben – auch die Werkstattleistungen blieben davon nicht unberührt.

Eisenkopf wirft dem ICCT letztlich die „Nichteinhaltung wissenschaftlicher Standards“ vor und bezeichnet die Ergebnisse als „für die Klima- und Verkehrspolitik unbrauchbar“. Für ihn handelt es sich um eine „tendenziöse Berichterstattung“, die Verbraucher von einer Abwrackprämie überzeugen und das Thema E-Fuels in ein schlechtes Licht rücken soll.

Dr. Mock hingegen sieht sich missverstanden: In der Studie reift die Erkenntnis, dass die wichtigste Maßnahme wäre, „Neuwagen zu adressieren.“ Konkret sind damit Instrumente wie die CO₂-Flottenziele auf EU-Ebene oder eine Reform der Kfz-Steuer gemeint. (PF)