Acht Jahre ist es erst her, da schwammen die österreichischen Grünen auf einer Erfolgswelle. Die Ökopartei schien auf dem Weg, flächendeckend den politischen Kurs zu bestimmen zwischen Karwendel und Karawanken, Bodensee und Neusiedler See. In sechs der neun Bundesländer gehörten sie der Regierung an. Als Höhepunkt des Erfolgs gewann der langjährige Parteivorsitzende Alexander Van der Bellen die Direktwahl zum Bundespräsidenten. Drei Jahre darauf gelang den Grünen auch noch der Schritt zur ersten Regierungsbeteiligung im Bund.

Doch ist dieses Machtgebäude in erstaunlich kurzer Zeit zusammengefallen. Eine Regierungsbeteiligung nach der anderen ging verloren. Nach den Wahlen dieses Herbstes zeichnet sich ab, dass die Grünen auf einen machtpolitischen Nullpunkt zurückfallen, was die Beteiligung an Koalitionsregierungen auf Bundes- oder Landesebene betrifft. Allein der 2023 für eine zweite sechsjährige Amtsperiode wiedergewählte Van der Bellen ist noch für geraume Zeit im Amt. Doch als Staatsoberhaupt ist er natürlich zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, seine Mitgliedschaft ruht.

Hatten die Bundes-Grünen bei der Nationalratswahl 2019 mit 13,9 Prozent noch ihr historisch bestes Wahlergebnis erzielt, setzte es Ende September nach fünf Jahren in der „türkis-grünen“ Regierung zusammen mit der ÖVP empfindliche Verluste. Sie kamen auf nur mehr 8,2 Prozent. Auch die Kanzlerpartei ÖVP hat schwer verloren. Aber weil mit dem Wahlsieger, der rechten FPÖ unter dem einstigen Innenminister Herbert Kickl, niemand koalieren will, befinden sich die Christdemokraten in der komfortablen Lage, dass es an ihnen kein Vorbeikommen gibt.

Die ÖVP nimmt den Grünen vieles übel

An den Grünen kann man vorbeikommen. Der Bundespräsident hat, da Kickl im Abseits steht, den amtierenden Bundeskanzler und ÖVP-Vorsitzenden Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt: Er solle umgehend mit den Sozialdemokraten Gespräche aufnehmen. Die ersten Gespräche mit dem SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler waren für Freitag anberaumt. Weil ÖVP und SPÖ zusammen nur eine Stimme über der parlamentarischen Mehrheit haben, hat Nehammer eine Präferenz für eine Dreierkoalition bekundet. So ist die Tür für die Grünen immer noch einen Spalt weit offen. Nehammer wollte nach dem Treffen mit Babler auch mit der Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, sowie mit dem Grünen-Vorsitzenden reden, dem bisherigen Vizekanzler Werner Kogler.

Aber die Vorzeichen sprechen gegen die Grünen. Die Neos sind neben der FPÖ die einzige Partei, die im September von den Wählern gestärkt wurde. Schwerer wiegen die Differenzen zwischen den bisherigen Koalitionspartnern. Die Christdemokraten verübeln es insbesondere Umweltministerin Leonore Gewessler, dass sie mit Härte ihre Themen durchgezogen hat. Weil sie ohne Billigung des Kabinetts in Brüssel für eine EU-Renaturierungsverordnung gestimmt hat, hat die ÖVP die frühere Umweltaktivistin sogar strafrechtlich wegen Amtsmissbrauchs angezeigt. Dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft die Anzeige eilig als substanzlos weggelegt hat, hat den Groll der ÖVP nicht besänftigt. Dort ist die Ansicht verbreitet, dass die Ermittler einseitig ÖVP-Leute aufs Korn nehmen, gedeckt oder sogar gefördert durch die grüne Justizministerin Alma Zadić. Dass die Grünen den Sturz der einstigen Lichtgestalt Sebastian Kurz wegen einer Chat- und Inseratenaffäre erzwungen haben, ist erst recht unvergessen.

Nach der Landtagswahl in Vorarlberg vor zwei Wochen kam der nächste Tiefschlag. Die Grünen erlitten auch dort kräftige Verluste, von fast 19 auf 12,4 Prozent. In Bregenz sah Landeshauptmann Markus Wallner keine Hindernisse, Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ aufzunehmen. Die Grünen, mit denen die ÖVP dort seit 2014 regierte, seien „ideologischer“ geworden und „nach links“ abgedriftet, sagte Wallner. Das bezog sich auf das Thema Migration, aber auch auf örtliche Verkehrsprojekte, die von den Grünen blockiert würden.

Ideologisch starr oder prinzipienfest?

Zuvor sind die Grünen bereits aus den Koalitionen in Tirol, Kärnten, Salzburg, Oberösterreich und Wien ausgeschieden. Nur in Oberösterreich und Wien gibt es noch das Proporzsystem, das den Grünen aufgrund der parlamentarischen Stärke einen Landesminister belässt. Der aber hat nur begrenzte Möglichkeiten, vor allem in Wien, wo es den „nicht amtsführenden Stadtrat“ ohne Ressortkompetenz gibt. Dabei sind in den vergangenen fünf Jahren keineswegs alle Wahlen verloren gegangen. Siebenmal gab es sogar Zugewinne, zweimal kleine Einbußen und erst dieses Jahr die kräftigen Verluste. Trotzdem wurde aus dem von einer früheren Parteichefin ausgerufenen „Alle Neune“ eine machtpolitische Null.

Die Gründe sind unterschiedlich, es spielen wie stets regionale und persönliche Faktoren eine Rolle. Die Konstellationen waren divers, von einer „Dirndl-Koalition“ in Salzburg bis zu Rot-Grün in Wien. Letzteres war die einzige sozialdemokratisch geführte Regierungsbeteiligung der Grünen, sonst regierten sie immer mit der ÖVP. Aber auch in Wien zerbrach die Koalition am Vorwurf ideologischer Starre. Fragt man Grüne, so heißt das anders: Prinzipienfestigkeit. An dem mag etwas sein. Aus Sicht der Kernwählerschaft der Grünen mag es sogar nötig sein, sich so zu verhalten. Es kann ja auch wieder einmal aufwärts gehen, so wie 2019 beim Wiedereinzug in den Nationalrat nach dem überraschenden Aus zwei Jahre zuvor. Aber für die Durchsetzung ihrer Ziele geht den Grünen eine politische Qualität ab, die der ÖVP zugeschrieben wird: dass sie auch mal die Wahlen verlieren und trotzdem die Koalitionsverhandlungen gewinnen kann.