Was steckt dahinter?
Die positiven Seiten der EU-Strafzölle auf Chinas E-Autos

Von Helmut Becker
27.10.2024, 11:18 Uhr

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Deutschlands Regierung stimmt dagegen, aber sie kommen dennoch: EU-Strafzölle auf aus China importierte Elektroautos. Die Folgen für die deutschen Autobauer sind enorm, auch volkswirtschaftlich nicht zu verachten. Haben sie aber auch etwas Gutes?

In Deutschland, laut Bundeskanzler Olaf Scholz “Land der kollektiven Übellaunigkeit”, herrscht zurzeit in einem Punkt ein absolutes Unbehagen gegenüber der von der EU-Kommission beschlossenen Einführung von Strafzöllen auf aus China importierte Elektroautos. Aber was ist überhaupt die Sachlage?

Laut Schätzung der Europäischen Kommission ist der Marktanteil chinesischer Marken in Europa von unter 1 Prozent 2019 auf 8 Prozent gestiegen und könnte im laufenden Jahr bereits 15 Prozent erreichen. Ein Grund dafür sind vor allem die niedrigeren Preise für chinesische E-Autos, die im Schnitt 20 Prozent unter denen vergleichbarer europäischer Modelle liegen. Die EU-Kommission wirft China unzulässige Subventionen seiner Autohersteller vor und sieht längerfristig durch unfairen Wettbewerb die Existenz der europäischen Autoindustrie als Wohlstandsgenerator bedroht, mit Werkschließungen und umfangreichen Entlassungen. Die Ankündigungen von Volkswagen bezüglich der Aufhebung des “heiligen” Kündigungsschutzes und der möglichen Stilllegung von zwei Werken haben dieses Szenario unterfüttert.

Subventionen für alle?

Als oberste europäische Handelsbehörde kann die EU-Kommission weitgehend über die Zollpolitik bestimmen. Auf Wehklagen vereinzelter Autohersteller hin (!) hat sie seit Oktober 2023 Chinas E-Autosektor untersucht und sieht es als erwiesen an, dass die chinesische Regierung ihre Autohersteller massiv “unfair” subventioniert. Das geschehe etwa durch Kredite, Grundstücke oder Batterierohstoffe deutlich unter dem Marktpreis. Stella Li, Europa-Chefin von BYD, globaler E-Auto-Branchenprimus und Platzhirsch in China, betonte allerdings jüngst regierungstreu, die Subventionen hätten allen Hersteller offen gestanden und seien auch genutzt worden – zum Beispiel von Tesla in Shanghai. Ob und wenn ja, wie deutsche Hersteller in China ebenfalls subventioniert worden sind – alle produzieren dort, allein VW betreibt 39 Werke mit 90.000 Beschäftigten in China -, ist offiziell nicht bekannt. Aber das “laute Schweigen” zu diesem Punkt vonseiten der deutschen Autobauer spricht Bände.

Breitgefächerter Widerstand

Um diese Subventions- und Wettbewerbsvorteile auszugleichen, hat Brüssel ab 1. November geltende Strafzölle festgelegt. Sie sind gültig für fünf Jahre und für jeden Hersteller individuell berechnet – je nach vermuteter Subventionshöhe. In Deutschland waren etwa die Bundesregierung und der Branchenverband VDA dagegen. Sie warnten unisono vor einem Ausbruch eines Handelskrieges mit dem Reich der Mitte und befürchten mögliche Gegenmaßnahmen der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Auch sämtliche deutsche Autohersteller einschließlich der globalen Zulieferer-Riesen waren dagegen. Die Hersteller aus gutem Grund: Zwar hat sich im vergangenen Jahr mit 130.000 Elektroautos (BEV) der chinesische Anteil an den von Deutschland importierten BEVs binnen Jahresfrist fast verdoppelt.

Mehr als die Hälfte dieser 130.000 E-Importe sind jedoch Eigenimporte der deutschen Hersteller aus ihren dortigen Fabriken. Dem steht als Risikovolumen der Export von 241.000 deutschen Luxus-Verbrennerautos nach China gegenüber.

Frankreich und Italien gegen Deutschland

Deutschland als bevölkerungsreichstes EU-Land stimmte zwar gegen die Zölle, die benötigte Mehrheit für die Ablehnung kam aber nicht zusammen. Zehn EU-Staaten, darunter die automobilen Schwergewichte Frankreich und Italien, haben den Weg für EU-Zölle auf E-Autos aus China freigemacht. Was sind nun die Konsequenzen?

Die EU-Strafzölle treffen die deutschen Autohersteller zweifach: Zum einen verteuern sie im Inland ihre Elektro-Importfahrzeuge aus China erheblich und dämpfen so den kränkelnden BEV-Inlandsabsatz zusätzlich. Zum anderen drohen ihnen in China selbst durch potenzielle Gegenmaßnahmen der Regierung Einbußen an ihrem bislang sehr lukrativen Verbrenner-Markt, der allerdings ebenfalls strukturell stark schrumpft. So wurden beispielsweise im August in China mehr E-Autos als Verbrenner verkauft. Chinas Führung reagierte auf die EU und kündigte wiederum Zölle auf Importe von Verbrennern mit über 2,5 Liter Hubraum an, sollten die laufenden Verhandlungen mit der EU scheitern.

Käme es zum Handelskrieg, wären aus volkswirtschaftlicher Sicht die größten Wachstumsverluste zu befürchten, da Deutschland unter allen europäischen Volkswirtschaften aufgrund seiner Abhängigkeit von China – sowohl auf der Import- wie auf der Exportseite – am stärksten betroffen wäre.

In der Theorie …

Die Strafzölle scheinen also rundum der klassischen Wirtschaftstheorie von den Vorteilen eines freien Warenaustausches zu widersprechen. Diese Theorie der komparativen Kosten-Vorteile besagt, dass sich der Warenaustausch zwischen zwei Ländern für beide lohnt, wenn jedes Land diejenigen Güter herstellt, die es mit relativ (nicht absolut) geringerem Aufwand herstellen kann als das andere Land.

Für das 18. Jahrhundert war diese Theorie richtig, im 21. Jahrhundert nur noch sehr bedingt. Damals war von Rohstoffabhängigkeiten, staatlich gelenkter und konstant auf E-Mobilität fokussierter Wirtschaftspolitik keine Rede. Ebenso wenig von aggressiven, politisch unterstützten globalen Markteroberungs- und Verdrängungsstrategien von Industrieunternehmen bei nahezu äquivalenter technologisch wie qualitativer Wettbewerbsgleichheit, aber wesentlich höheren Skalenvorteilen einer riesigen Volkswirtschaft.

Die Zeit, in der es sinnvoll war, dass Portugal Wein und England Tuch herstellte und beide zum gegenseitigen Nutzen tauschten, ist vorbei. Um es auf den Punkt zu bringen: China kann heute beides, Wein und Tuch und – dank westlichen Know-how-Transfers – China kann inzwischen praktisch alles, nur billiger, Ausnahme Bananen und Ananas.

Ein entfesselter Gelber Drache könnte die Wettbewerber plattmachen! Von daher sind die EU-Strafzölle von heute vor allem als Signal und als Schutzzölle im klassischen Sinne zu verstehen, aus der Not geboren, nicht als volkswirtschaftliches Wohlfahrtsoptimum. Sie sollten daher auch nur für eine bestimmte Zeit Gültigkeit haben. In dieser Zeit hat die europäische Autoindustrie eine Schonfrist, um sich auf den kommenden chinesischen Auto-Wettbewerb einzustellen. Schutzzölle für die Automobilindustrie in Europa darf und wird es auf Dauer nicht geben, ebenso wenig “unfaire” Handelspraktiken und Subventionen in China für ihre Autohersteller.