Während sich Moldau knapp für einen Kurs in Richtung Europa entschieden hat, steht diese Wahl in Georgien noch bevor. Das Ergebnis könnte das geopolitische Gefüge nachhaltig beeinflussen. Russland probiert alles, um eine Annäherung an den Westen zu verhindern.

Große Sorgen machten sich die Proeuropäer in der Republik Moldau nicht. Sicher, ein Teil der Bevölkerung orientierte sich an Moskau. Aber Umfragen hatten erwarten lassen, dass ein Referendum zur Integration Moldaus in die EU durchgehen würde. Optimisten malten sich bis zu zwei Drittel Unterstützung aus, selbst Pessimisten bezifferten das Pro-EU-Lager auf rund 54 Prozent. Es kam anders.

Als am vergangenen Sonntagabend nach und nach die Ergebnisse der Wahlkreise eintrafen, lagen jene vorn, die keine Verfassungsänderung, keine Westbindung wollten. Stundenlang führte das Anti-EU-Lager. Erst die Stimmen Hunderttausender Moldauer, die im Ausland leben und die mit großer Mehrheit proeuropäisch eingestellt sind, ließen das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Am Ende standen 50,38 Prozent gegen 49,62 Prozent. Eine Mischung aus aggressiver russischer Einmischung, Sowjetnostalgie und politischer Desillusion hätte das Referendum fast scheitern lassen.

Dem Kreml wäre eine moskautreue Regierung in Chisinau am liebsten, um Moldau fest im russischen Einflussbereich zu halten. Ähnlich sieht es in Georgien aus, wo am Samstag eine richtungsweisende Wahl über den vorerst letztmöglichen Kurswechsel hin zu einer Annäherung an die EU entscheidet.

In beiden Ländern nutzt Russland die gesellschaftlichen Spannungen zu seinem Vorteil, in beiden Ländern kontrolliert es moskautreue Separatistengebiete: Transnistrien in Moldau, Abchasien und Südossetien in Georgien. Beide Länder stehen an einem Scheideweg – und Russland ist bereit, viel zu tun, um die Abzweigung in Richtung Moskau zu erzwingen.

In Moldaus Fall zum Beispiel mit einem millionenschweren Stimmenkaufprogramm. Nach Angaben der Polizei und Staatsanwaltschaft wurden 39 Millionen US-Dollar zum Zweck der Wählerbestechung im September und Oktober in die kleine Republik geschleust und in bar weiterverteilt.

Noch in der Wahlnacht hatte Präsidentin Maia Sandu in der Hauptstadt Chisinau von Beweisen gesprochen, dass kriminelle Gruppen in Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften versucht hätten, 300.000 Stimmen zu kaufen. Hinzu kommt ein aus Moskau gesteuerter Informationskrieg, etwa durch Werbeanzeigen auf Google und Facebook, die die öffentliche Meinung manipulieren sollen. Sandu muss sich Anfang November einer Stichwahl stellen, die darüber entscheidet, ob sie Präsidentin bleibt.

Moskau profitiert von gesellschaftlichen Gräben

Andrei Curararu vom Thinktank Watchdog sagt, die russische Strategie beruhe auf drei Säulen. „Erstens: jegliche Annäherung an die Europäische Union stoppen und die wirtschaftliche Unterstützung für Moldau einfrieren“, sagt er. Dadurch werde die Bevölkerung anfälliger für Manipulation und offener für Abkommen mit Russland. „Zweitens: Die proeuropäischen Parteien diskreditieren, indem man sie als korrupt darstellt und behauptet, sie hätten nichts erreicht.“ Ihnen solle etwa die Inflation angelastet werden, die tatsächlich vor allem mit Russlands Krieg in der Ukraine in Verbindung steht.

„Drittens: das gesamte Land ‚transnistrisieren‘“, so Curararu. Er bezieht sich damit auf die Separatistenrepublik Transnistrien im Osten des Landes. Gelänge es Russland, Moldau derart zu kontrollieren, könnte es das Land als Satellitenstaat gegen EU und Nato einsetzen.

Zu Beginn des Ukraine-Kriegs fürchtete Chisinau einen russischen Angriff. Weil aber die ukrainische Verteidigungslinie hielt, konnten russische Soldaten nicht bis an die moldauische Grenze vorstoßen. Und so wandelte sich die Bedrohung von einer militärischen hin zu einer politisch-hybriden.

Die Kreml-Methoden fallen in Moldau auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil gesellschaftliche Gräben existieren. Sowjetnostalgie ist verbreitet. Ältere Menschen verklären die Vergangenheit als geprägt von Stabilität und sozialer Sicherheit. Die Sowjetunion zerfiel, die Neuordnung verlief holprig. Viele Moldauer glauben noch immer, sie könnten zwischen Russland und dem Westen eine neutrale Position einnehmen – obwohl der Ukraine-Krieg zeigt, dass es solche Zwischenräume nicht mehr gibt.

Die Illusion hält sich nicht nur in Moldau, sondern auch in Georgien. Den endgültigen Bruch mit Moskau wollen nur wenige wagen – immerhin ist Russland nicht nur Nachbar, sondern auch wichtiger Wirtschaftspartner. Laut Berechnungen der Nichtregierungsorganisation Transparency International Georgia trug Russland im Jahr 2023 mit 10,3 Prozent zum georgischen Bruttoinlandsprodukt bei – durch Heimüberweisungen von in Russland arbeitenden Georgiern, Tourismus und Importen. Russland bleibt mit 65 Prozent Hauptabnehmer von georgischem Wein. Russische Touristen stellten knapp 20 Prozent des Fremdenverkehrs.

Während prowestliche Oppositionelle diese Wirtschaftsbeziehungen als eine gefährliche Abhängigkeit werten, sehen das viele Georgier anders – und das, obwohl Russland als der Hauptfeind des Landes gilt. In einer Umfrage des National Democratic Institute von Oktober 2023 sprachen sich 58 Prozent dafür aus, Wirtschaftsbeziehungen zu Russland beim gegenwärtigen Stand zu belassen oder auszubauen. Nur ein Viertel der Befragten wollte eine Reduktion der Wirtschaftsbeziehungen.

Um diesen Umstand weiß der wichtigste Oligarch des Landes: Bidsina Iwanischwili. Dessen Partei „Georgischer Traum“ ist seit 2012 an der Macht und nähert sich immer mehr Wladimir Putin an. Sie erließ ein Agentengesetz nach russischem Vorbild, mit dem Kritiker als Handlanger fremder Mächte abgestempelt werden. Ein weiteres Gesetz zu „traditionellen Werten“ schränkt die Redefreiheit über schwule und lesbische Sexualität ein. Die wichtigste Oppositionspartei, Vereinte Nationale Bewegung, könnte bald verboten werden. Angesichts dieser Entwicklungen hatte die EU den Beitrittsprozess Georgiens im Juni auf Eis gelegt.

Schicksalswahl in Georgien

Am Samstag nun entscheiden die georgischen Wähler darüber, ob „Georgischer Traum“ weiterhin regieren soll. Es sind die wohl wichtigsten Wahlen seit der Unabhängigkeit des Landes – ein Referendum über die geopolitische Ausrichtung des Landes.

Zwar konnten sich die Oppositionsparteien nicht zu einem Wahlbündnis durchringen, doch für den Fall, dass die Regierungspartei bei der Wahl unterliegt, wollen sie eine technokratische Regierung bilden und autoritäre Gesetze zurücknehmen. Die überwältigende Mehrheit des Landes wünscht sich eine europäische und Nato-Mitgliedschaft ihres Landes. Oligarch Iwanischwili und seine Partei bekennen sich formell dazu, aber ihre Politik führt dazu, dass Brüssel und Washington auf Distanz gehen.

Iwanischwili strebt zudem eine Normalisierung mit Russland an – die in eine friedliche Wiedervereinigung mit den abtrünnigen von Russland besetzten Republiken Abchasien und Südossetien münden soll. Russland schickt wohlwollende Signale und unterstützt so indirekt den Wahlkampf des Oligarchen, obwohl beiden Seiten klar ist, dass die Rückgabe der militarisierten russischen Vasallenstaaten unrealistisch ist.

Iwanischwilis Pendelkurs zwischen Russland und dem Westen findet Resonanz in einer Gesellschaft, die von Widersprüchen geprägt ist – dem Traum von Europa auf der einen, dem Geschäft mit Russland auf der anderen Seite. Doch die Zeiten, in denen beides ging, sind vorbei – Moldau und Georgien müssen sich entscheiden.